Kultur von Unten versus Hochkultur

Donnerstag, 25. April 2024 um 02:16 - futziwolf

... oder waechst hier zusammen was sich nicht trennen laesst?
Der aponaut zu Gast in der Geblaesehalle des Landschaftsparks Duisburg:
Die Ruhrtriennale 2008 praesentiert unter dem Motto Aus der Fremde die dreitaetige Konzertreihe Spurensuche,
aus der wir das zweite Konzert Vocal am Freitag den 29.08. besucht haben.
Zuerst mal war es natuerlich Quatsch nur einen Abend aus der Reihe zu besuchen, und dem entsprechend auch nur ueber ein Drittel der Reihe berichten zu koennen. Aber an allen drei Abenden anwesend zu sein liess sich organisatorisch einfach nicht einrichten. Ich denke aber, um das Konzept Spurensuche zu verstehen und entsprechend zu wuerdigen, kann auch der Bericht ueber Vocal reichen.
Um dem umfangreichen Konzept gerecht zu werden wurden drei Themenabende gewaehlt:
RAP, VOCAL und ORIENTAL-OKZIDENTAL

Aus dem Konzept der Veranstalter:
Selbstverstaendlich ist sie noch lange nicht, die Erkenntnis, dass Deutschland seit nun doch schon einigen Jahrzehnten zum Einwanderungsland geworden ist. Der Musiker, Arrangeur und vormalige Kurator der Century of Song-Reihe, Mike Herting, hat sich mit diesem Thema immer wieder musikalisch auseinandergesetzt. In diesem Jahr wird er sich bei der RuhrTriennale im Rahmen von drei Konzerten auf eine Spurensuche der besonderen Art begeben.

Zusammen mit Musikern aus NRW mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund wird er ausloten, wo ihre jeweiligen musikalischen Wurzeln zu finden sind. An jedem dieser Abende wird also eine Spurensuche aufgenommen, in der wichtige Musikerpers-nlichkeiten aus der Region sich in den Arealen Rap, Vocal und Oriental zusammenfinden.
In den drei Temperaturen Rap, Vocal und Oriental-Okzidental sind -ber 60 Musiker aus mehr als 25 Nationen zusammengerufen. Alle beteiligten K-nstler werden f-r diese Reihe unter den Aspekten der Spurensuche, der Zusammenarbeit mit anderen Kulturen und der Besch-ftigung mit der einheimischen, der deutschen Kultur spezielle Programme und Formen des gemeinsamen Musizierens entwickeln. Daher werden neben den ausl-ndischen Musikern auch deutsche -Spurensucher- zu h-ren sein.

Nicht laue Weltmusik (oft unter dem Aspekt der Ausbeutung, -konomisch wie k-nstlerisch) sondern Zusammenarbeit auf Augenh-he ist gefragt, ein Vergleichen, Lernen, Wiedererkennen, ein gegenseitiges sich Respektieren. So werden also in der Reihe Spurensuche nicht nur ukrainische und nigerianische, indische und marokkanische Kl-nge zu h-ren sein sondern einige der K-nstler werden sich auch mit deutschem Liedgut befassen. Wie wird es klingen wenn die neun iranischen Frauen der Formation -Banu- das Volksied -Ich hab die Nacht getr-umet- interpretieren, wie werden sich irakische Musiker in Zusammenarbeit mit Spezialisten f-r mittelalterliche Musik zu Liedern der Hildegard von Bingen anh-ren? Dar-ber hinaus wird jeder der auftretenden K-nstler die M-glichkeit und die Freude haben, seine eigenen Konzerte durch die anderen Musiker zu erg-nzen - ein spannendes Crossover!

Im Verlauf des Zusammenstellens der drei Konzerte ist dieser Aspekt des gegenseitigen Respekts der wichtigste gewesen. So viele herausragende Vertreter ihrer jeweiligen Kulturen leben in NRW! Wie angenehm ist es, ihre Bereitwilligkeit und Freude zu sp-ren, sich aufeinander und auf das Fremde einzulassen und wie belohnend ist es, soviel Information und Insiderwissen nicht nur zu den k-nstlerischen sondern auch den sozialen und politischen Verh-ltnisse zu erfahren!




Soweit die Ausf-hrungen der Macher.
Und was haben wir damit zu tun? Normalerweise ist bei Veranstaltungsst-tten wie Jahrhunderthalle Bochum, Gebl-sehalle Landschaftspark Duisburg, Zeche Zweckel, Ringlokschuppen M-hlheim und Salzlager der Kokerei Zollverein ja eher wegklicken angesagt. Haben wir als die Vertreter der -Kultur von Unten- und Institutionen wie RUHRtriennale und AKZENTE als Vertreter der -Hochkultur- uns nicht immer schon geflissentlich gegenseitig ignoriert? Die haben das Geld und das dazugeh-rige Bildungsb-rgertum, wir haben D.I.Y., Improvisationstalent und die Basis der Bev-lkerung, dazwischen liegt Niemandsland.
Das es nicht immer so weitergehen muss, haben Kooperationen wie zwischen der Theatergruppe T.A.D. mit den Produktionen -10 Tage besser leben- und -Zum Beispiel Ruhrort:- mit den Duisburger AKZENTEN dieses Jahr im Ansatz bewiesen. Das da noch keine Freundschaften sondern im besten Falle Bekanntschaften gegr-ndet wurden ist klar, aber vielleicht ein Anfang.

Die Spurensuche in der Gebl-sehalle sind zwar auch schon von den Eintrittspreisen her eher f-r ausgew-hltes Publikum gemacht und somit kaum geeignet die Gr-ben zwischen den gering verdienenden Bev-lkerungsgruppen
in- und aus- und hin- und her-l-ndischer Mitb-rger zu f-llen. Aber st-ndig nur auf die Unterschiede der finanziellen Aspekte zwischen -Kultur von Unten- und -Hochkultur- hin zu weisen l-st den Kreislauf der immer w-hrenden Gegnerschaft nicht auf.
Welchen Sinn hatte also diese Veranstaltung? An erster Stelle stand hier ganz sicher die Tatsache, das hier etwa 70 herausragende K-nstler ukrainischer, albanischer, iranischer, griechischer, t-rkischer, ... afrikanischer und s-damerikanischer Herkunft, auf gro-er B-hne und in gro-em Rahmen Respekt und Anerkennung gefunden haben und auf wunderbare Weise, n-mlich einer -beraus cleveren Inszenierung, ihre enorme Stellung und ihre unsch-tzbaren menschlichen, politischen und k-nstlerischen Aktivit-ten in unserer Multikulturellen Gesellschaft herausgestellt wurden und jedem Zuschauer, hoffentlich, dieses uns-gliche von oben-herab-Folkloregucken-am-Sonntag-Gebaren peinlichst bewusst wurde.


Mariana Sadovska by Tomas Karas - http://www.borderlandmusic.de/


YouTube-Direktlink




Des weiteren ist nat-rlich die au-erordentliche Klasse und Professionalit-t der einzelnen K-nstler und Gruppen hervor zu heben. Zum Beispiel die ukrainische S-ngerin MARIANA SADOVSKA, deren Performance von Interpretationen traditioneller ukrainischer -Hexenlieder- schier unglaubliche Vielseitigkeit, Humor und Komplexit-t beboten hat. Wunderbar ihre Version des alten deutschen Liedes -Maria durch ein Dornwald ging- und der H-hepunkt -Midsummer Night-, das an die in allen Frauen innewohnende -Hexenkraft- mahnt. Auch MYRIAM AKHONDY und ihr Chor BANU brachten eine fantastische iranische Version eines alten deutschen Volksliedes: Der schwere Traum von 1820. Der Rest ihrer Vorf-hrung bestand aus eindringlichen und schwerm-tigen Trinkerballaden, Trauerliedern und zum Schluss einem rasend rhythmischen Hochzeitslied.

-berhaupt war es ein Abend der internationalen Frauenpower. Auch die danach Arabien, den Balkan, Afrika und S-damerika repr-sentierenden Gruppen wurden von herausragenden weiblichen Pers-nlichkeiten wie MYRIAM AKHONDY, EDA ZARI und ROSANA REIS angef-hrt. M-nner waren da meist rhythmisches Beiwerk.


Maryam Akhondy by Bernd G. Schmitz - http://www.maryam-akhondy.de/


Und zum Schluss noch mal: wie kommt der aponaut eigentlich zu der Akkreditierung einer solchen Veranstaltung?
Eine Affinit-t zu Worldmusic im Allgemeinen und zu Mestizo, Klezmer und Balkanbrass im Besonderen hat ja schon l-nger durch die Zusammenarbeit mit dem Bahnhof Langendreer und seinen Konzerten in Bochum bestanden. In Duisburg f-rdern und berichten wir -ber das internationale Programm des DJ-zz. Und die Kooperation mit dem K-lner Weltmusik-Label ALBA-KULTUR, -ber dessen K-nstler wir laufend berichten, hat mit seiner F-rderung und Promoarbeit -ber die Spurensuche letztlich den Ansto- gegeben -ber diese Veranstaltung zu berichten.
Also, egal ob -Kultur von Unten- oder -Hochkultur-, wenn es um Berichterstattung von Veranstaltungen geht, die das Zusammenleben verschiedener Kulturen f-rdert, und es nicht um die -blichen Alibi-Aktionen geht, sind wir dabei.

Hoch die Tassen und herzlichen Gl-hwurm zu der gelungenen Inszenierung der Herren Thomas W-rdehoff, Chefdramaturg, und Mike Herting, Musikalische Leitung. Und zwei offene Augen und Ohren w-nschen wir allen Beteiligten bei der zuk-nftigen Spurensuche im Alltag! (zum Beispiel nach dem Event in der Stra-enbahnlinie 903)

Heute die letzte Gelegenheit auf die Spurensuche der Ruhrtriennale zu gehen:

ORIENTAL-OKZIDENTAL
Samstag, 30.08.2008 - Beginn: 19.30h
Norbert Rodenkirchen, Albrecht Maurer, Saad Thamir, Bassem Hawar, Daud Khan, Dorran Ahmad Sadozai, Yama Karim, Paul Shigihara, Ramesh Shotham, Rhani Krija, Ali Keita, Behnam Samani, Reza Samani, Charlie Mariano und Mike Herting

Weitere Infos und Links zu (fast) jedem K-nstler: http://www.ruhrtriennale.de/de/programm/2008/spurensuche/
Tickets: tel. +49 (0) 700.20 02 34 56 und email: service@ruhrtriennale.de




Gebl-sehalle, Landschaftspark Duisburg Nord by Matthias Baus -



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