Wir sind nicht eure Geldautomaten [update]
Freitag, 18. Juni 2010 um 19:21 - futziwolf
Die Verursacher und Profiteure der Krise blockieren
Aufruf und Aktionen gegen Krisengewinnler und eine nette Zusammenstellung über Hartz4, Niedriglohn-Sektor von Wolf Wetzel:
Wir haben analysiert, gemahnt, vorhergesagt. Wir haben gewarnt, wir haben lange gewartet. Wir haben gehofft, gefordert, wir haben demonstriert. Es wird Zeit, dafür zu sorgen, dass das nicht eintritt, was wir alle nicht anders erwartet haben. Es wird höchste Zeit, nicht länger in eine andere Richtung zu zeigen, sondern sie selbst zu ändern.
Rot-Grüne Reformsalven und schnee-weißes Pulver
Was die Kohlregierung in vielen kleinen Schritten vorantrieb,
die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben,
trieb die rot-grüne Regierung ab 2002 mit Kanonenschlägen auf die
Spitze.
Agenda 2010 nannten sie ihr Reformwerk, was nichts anderes
hieß, als die Sozialsysteme zu sprengen, das Lohn- und Rentenniveau
drastisch zu senken, prekäre Arbeit zum Kern dieses Systems zu machen
und Flexibilisierung zur erschöpfenden Norm eines Arbeitsalltags:
Aufruf und Aktionen gegen Krisengewinnler und eine nette Zusammenstellung über Hartz4, Niedriglohn-Sektor von Wolf Wetzel:
Wir haben analysiert, gemahnt, vorhergesagt. Wir haben gewarnt, wir haben lange gewartet. Wir haben gehofft, gefordert, wir haben demonstriert. Es wird Zeit, dafür zu sorgen, dass das nicht eintritt, was wir alle nicht anders erwartet haben. Es wird höchste Zeit, nicht länger in eine andere Richtung zu zeigen, sondern sie selbst zu ändern.
Rot-Grüne Reformsalven und schnee-weißes Pulver
Was die Kohlregierung in vielen kleinen Schritten vorantrieb,
die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben,
trieb die rot-grüne Regierung ab 2002 mit Kanonenschlägen auf die
Spitze.
Agenda 2010 nannten sie ihr Reformwerk, was nichts anderes
hieß, als die Sozialsysteme zu sprengen, das Lohn- und Rentenniveau
drastisch zu senken, prekäre Arbeit zum Kern dieses Systems zu machen
und Flexibilisierung zur erschöpfenden Norm eines Arbeitsalltags:
- Bereits 1998 belief sich die Summe, die im
Sozialbereich ›eingespart‹ wurde, auf rund 100 Milliarden Mark:
»Regierungsamtlich steht fest, daß kein anderes Land in Europa die
sozialen Streichungen in den 90er Jahren so weit getrieben hat wie
Deutschland.« (FR vom 30.7.1998) - »In Deutschland sind die Reallöhne in den vergangenen
zehn Jahren (zwischen 1995- 2004) um 0,9 Prozent zurückgegangen.
Damit liegt die Bundesrepublik an letzter Stelle der 15 alten
EU-Länder.« (FR vom 16.6.2005) - »Billiglohnland BRD: Die Nettolöhne und -gehälter sind
2006 auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren gesunken.« (Junge
Welt vom 27.9.2007) - »Der Niedriglohn-Sektor in Deutschland wuchs so rasch
wie in kaum einem anderen Land. 2008 waren fast 23 Prozent der
Beschäftigten Geringverdiener, die weniger als 8,90 Euro pro Stunde
erhielten (…).« (FR vom 8.2.2010) - »Zwischen 1991 und 2004 schrumpfte die Zahl der
Vollzeitbeschäftigten um fast sechs Millionen oder rund 20 Prozent
auf 23,75 Millionen. Dagegen verdoppelte sich die Zahl der
Arbeitnehmer in Teilzeit einschließlich der nur geringfügig
Beschäftigten auf 11 Millionen.« (FAZ vom 19.07.2005) - Die gesetzlich garantierten Rentenleistungen (bezogen
auf das Jahr 2030) sind seit 1993 um ca. 40 Prozent gekürzt worden –
durch Verlängerung der Lebensarbeitszeit, neue Berechnungsmodis
etc..(vgl. FR vom 11.8.2003) - Sofortige Einführung einer Finanztransaktionssteuer
- Besteuerung aller Vermögen über 1 Million mit 5%
- Sofortige Umsetzung der Forderung nach 500,- Euro Hartz
IV-Eckregelsatz, 10 Euro Mindestlohn und einer 30-Stunden
Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich
Was für die Mehrheit der Menschen in Deutschland einen
ruinösen Wettlauf nach unten bedeutete, sollte für Konzerne und
Finanzunternehmen eine bis dato nie da gewesene Jagd auf Renditen,
Märkte und billiges ›Humankapital‹ (Unternehmerdeutsch für verwertbare
Menschen) einläuten. Dank niedriger Löhne, massiver Steigerungen der
Produktivität und einschneidender Senkungen so genannten
›Lohnnebenkosten‹ (Krankenkassenbeiträge) avancierten die deutsche
Industrie zum ›Exportweltmeister‹ und die deutsche Bundesregierung zum
Liga-Chef innerhalb der EU. Parallel dazu öffnete man die Schleusen für das Finanzkapital
(durch so genannten Finanzmarktreformen), deregulierte bis zum
Geht-nicht-mehr, bis allen Akteuren vor lauter ›Outperformance‹ nicht
mehr gerade aus schauen konnten. Als 2007 die ersten Stimmen mahnend vor einem drohenden
Finanzcrash warnten, lachte man sich tot und feierte weiter, mit
traumhaften Renditen, Bonizahlungen und After-Work-Partys. Selbst für
Gewerkschaftsfunktionäre war genug übrig: Man bespaßte sie, flog
Prostituierte ein und machte mit Sonderzahlungen aus ›schwarzen Kassen‹
aus Interessenvertretern der Lohnabhängigen Partygäste auf einem
Luxusliner. Niemand wollte sich die Kurs- und Profitrallye madig machen
lassen, niemand wollte zuerst aussteigen, auch wenn die Wand, auf die
man zufuhr, deutlich zu sehen war. Wer zuerst bremst, hat verloren, war
die Devise. Und die zweite lautete: Wenn es jemand erwischt, dann nicht
uns. ›To big to fail‹ nennt sich dieser Safebag der Global Players, für
den sie nicht einen Cent bezahlen würden.
Kassensturz
Dann brachen die ersten Banken wie Kartenhäuser zusammen unddie Business-Class zeigte so lange aufeinander, bis es niemand mehr war,
der dafür Verantwortung war. Das Wort vom ›anonymen Systemfehler‹ wurde
der Schlüssel zur Generalamnestie. Die Schreihälse der
Selbstheilungskräfte des Marktes, dessen ›unsichtbare Hand‹ alles
regelt, verstummten und die staatlichen Adjutanten verwandelten sich
über Nacht in Krankenschwestern milliardenschwerer Unternehmen. Die
erste Notoperation war fällig: Der Staat übernahm mit mehr als 500
Milliarden Euro die Rettung des privaten Bankensektors.
Mit der Verstaatlichung der Krise war die nächste
vorprogrammiert. Viele Staaten verschuldeten sich in einem Maße wie
gewöhnlich nur in Kriegszeiten. Darauf folgte die ›Griechenland-Krise‹,
die Krise für das vermeintlich einzig schwache Glied in der Euro-Kette.
Wieder wurden allein von der deutschen Bundesregierung über 25
Milliarden Euro bereitgestellt, um einen drohenden Staatsbankrott, ein
Auseinanderbrechen der Euro-Zone abzuwenden. Ein Rettungspaket, mit der
Lüge geschnürt, Griechenland sei einzigartig, und dem rassistischen
Ressentiment gewürzt, die ›Griechen‹ hätten über ihre Verhältnisse
gelebt. Kaum war die Griechenland-Hilfe beschlossen,
wurde klar, dass sich hinter dem Baum der Wald versteckte. Die dritte
Phase der kapitalistischen Krise war eingeläutet: die Europäisierung von
Milliarden-Verlusten von Banken und Privatunternehmen. In einer Nacht-
und Nebelaktion, in der sich auch noch das Parlament selbst entmachtete,
wurde der nächste Rettungsring ins offene Meer geworfen. Über 750
Milliarden sollen die tödliche Konkurrenz der EU-Staaten am Leben
erhalten. Nun werden die Billionen an Euros, die im Euroraum zum
Überleben von Banken und Konzernen eingesetzt wurden, aus denen
herausgepresst, die in der Logik dieses Wirtschaftssystems kein
›systemisches Risiko‹ also keine Gefahr darstellen: Arbeitslose,
Lohnabhängige, Geringverdienende, das ›letzte Drittel‹. Es folgt nun die
Sozialisierung der Krise. In fast allen Euro-Ländern werden Schock- und
Verarmungsprogramme beschlossen.
In Griechenland kam es zu mehreren befristeten
Generalstreiks. In Italien, Spanien und Portugal werden die
Möglichkeiten dazu ausgelotet. In Deutschland spricht der DGB-Chef
Sommer davon, die Betriebe zu mobilisieren.
›Wir bezahlen nicht für eure Krise‹
Als der Vorschlag kam, im März 2009 zu Großdemonstrationen unter dem Motto ›Wir bezahlen nicht für eure Krise‹ aufzurufen,
lehnte die Gewerkschaftsspitze eine Unterstützung mit der Begründung
ab, das sei alles viel zu früh. Die Gewerkschaftsbasis und viele linke
Gruppierungen riefen dennoch dazu auf: Was für die Gewerkschaftsspitze
viel zu früh war, war für über 40.000 Menschen gerade richtig: Auf der
Demonstration in Frankfurt beteiligten sich ca. 20.000 Menschen, in
Berlin wollen die VeranstalterInnen noch mehr gezählt haben. Inhaltlich
reichte das Spektrum von einer sympathischen Verweigerungshaltung bis
zur grundsätzlichen Systemkritik. Praktisch und realpolitisch herrschte
danach in allen politischen Spektren bleierne Stille. Man überließ den
Herrschenden das Tempo, die Richtung, die Schlagzeilen und wartete in
banger Ohnmacht auf das, was kommen musste.
Ein Jahr später, am 12.6.2010 fanden unter demselben Motto
zwei Großdemonstrationen in Stuttgart und Berlin statt. Bei vorsichtiger
Schätzung waren zusammen ca. 40.000 Menschen auf der Strasse, etwa
genauso viele wie im Jahr zuvor. Bei nüchterner Analyse kein Erfolg,
sondern Ausdruck politischen Stillstandes, was die Zahl der
TeilnehmerInnen, vor allem aber, was die Ziele solcher Demonstrationen
anbelangt. Vor einem Jahr ahnte man, wer für die Kapitalverbrechen in
Billionen Höhe zahlen wird. Das Verarmungsprogramm für das ›letzte
Drittel‹ lag in der Luft, jedoch noch nicht auf dem Tisch. Während die
politische Klasse ihnen Fahrplan einhielt und ihrem Credo folgt: ›Wir
lassen immer andere für unsere Krise bluten‹, drehten sich die
Demonstrationen im Kreis gemachter Erfahrungen. Denn das Motto ›Wir
bezahlen nicht für eure Krise‹ wird nicht durch seine Wiederholung
eingelöst, sondern durch politische und praktische Konsequenzen, die
daraus gezogen werden. Alle wissen und spüren es: Man kann noch Hundert
Mal auf die Strasse gehen kann, Warnungen und Drohungen ausstoßen, ohne
am Lauf der Dinge etwas zu ändern, solange man dieses
Verarmungsprogrammen kritisiert und im wirklichen Leben ausbadet.
›Die Geschichte wiederholt sich nicht
und wenn als Farce‹
Das gilt nicht nur für die politische Klasse, also auch für jede Art der Opposition. Bei aller Sympathie für Menschen, die zum
ersten Mal auf einer Demonstration waren, hat diese Wiederholung etwas
Komödiantisches: Das Verarmungsprogramm steht und absolviert ungestört
seinen parlamentarischen Weg, während man trotzig und wirklichkeitsfremd
durch die Strassen ruft: Wir bezahlen nicht für eure Krise. Dabei
spielt es überhaupt keine Rolle, ob man der Symbolik einen
zivilgesellschaftlichen oder revolutionären Charakter gibt. Beide gehen
wirkungslos denselben Weg, von A nach B, ohne eine Praxis, eine
Handlungsmöglichkeit aufzuzeigen, die nicht nur etwas (ganz) Anderes
fordert, sondern selbst etwas (ganz) Anderes tut.
Auf diesen wie auf den Demonstrationen ein Jahr zuvor wurden
viele Forderungen aufgestellt und adressiert. Damals standen sie
richtungweisend im Raum und zur Auswahl. Heute stehen sie genau so
zahlreich, genau wahllos nebeneinander. Mit welchen Forderungen will man
die Businessräume der Adressaten betreten – nicht symbolisch, sondern
geschäftsschädigend, störend? Welche Ziele kann man mit wem und mit welchen Mitteln
durchsetzen? Wie muss ein Konzept aussehen, dass die Angst vieler
berücksichtigt, ohne vor ihr zu kapitulieren?
Zwischen den ersten Demonstrationen und heute liegt zeitlich
über ein ganzes Jahr. Praktisch, politisch, strategisch ist man auf der
Nulllinie stehen geblieben. Man muss kein ›Berufsdemonstrant‹ sein, um zu wissen, dass
Forderungen nicht eingelöst werden, in dem man sie wiederholt, sondern
indem man die politisch Verantwortlichen dazu zwingt, ihnen nachzugeben.
›Es geht auch anders‹ stand auf vielen Transparenten der
Demonstration in Stuttgart. Wer würde das bestreiten? Nicht diese
Feststellung ist falsch, sondern die fortgesetzte Untätigkeit, dafür zu
sorgen, dass das ›Andere‹ auch passiert, aus dem Himmel der Andeutungen
herabsteigt, um es in einer gemeinsamen Praxis sicht- und erlebbar zu
machen. Weder die Demonstration in Berlin noch in Stuttgart hatten
das Ziel, über die Demonstration von zaghaften bis wilden Absichten
hinauszugehen. Sie waren im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt. In
Stuttgart konnte der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Claus
Schmiedel, die Bühne ›entern‹, obwohl die SPD aus gutem Grund nicht Teil
des Bündnisses war. Es folgten wütende Proteste, nicht nur aus dem
›revolutionären Block‹, sondern gerade auch aus dem breiten Spektrum der
›Stuttgart-21‹ GegnerInnen, die seit Monaten gegen ein haarsträubendes,
korruptes Prestigeprojekt protestieren, das weiteres öffentliches
Eigentum privaten Investoren zum Schnäppchenpreis überlassen will.
Mit Rufen wie ›Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten. Wer
war mit dabei – die grüne Partei‹ oder ›Hartz IV – das wart ihr‹ und
Rufen gegen ›Stuttgart21‹ wurde seine Rede gestört. Und als auch noch
Tomaten und Eier flogen, wurden BFE-Einheiten auf die Bühne geholt, als
hätten sich die Macher der Satire-Sendung ›Neues aus der Anstalt‹ all
das ausgedacht. Nicht die Eier und Tomaten, die diese Politik trafen, sind
der Skandal, sondern die Tatsache, dass ein SPD-Politiker reden konnte,
der die Politik der Agenda 2010 konsequent bis in die letzte Haarspitze
dieser Gesellschaft treibt. Ein Politiker, der nicht die Privatisierung
des Staates und die wachsende gesellschaftliche Verarmung kritisiert,
sondern dass all dies – auf Bundesebene – nicht von der SPD fortgesetzt
wird.
Vielleicht hat einigen dieses Spektakel gefallen, vielleicht
haben sich viele über diese Abrechnung gefreut. Auch wenn das der
Stimmung und Schadenfreude möglicherweise gut getan hat, bleibt etwas
ganz entscheidendes auf der Strecke: Diese Demonstration ist in ihrer
Grundausrichtung hinter der des letzten Jahre zurückgefallen: Ein
Bündniskonsens nämlich, der ganz praktisch und lebensnah davon ausgeht,
dass sich SPD – Grüne und CDU-FDP als ehemalige und aktuelle
Regierungsparteien nicht unterscheiden, sondern lediglich in ihrem
zeitweiligen Oppositionsgehabe. Das schließt nicht die Mitglieder oder
WählerInnen dieser Parteien aus, jedoch deren politische Repräsentanten –
auf der Bühne. In Berlin hielt dieser Bündniskonsens. Dafür dominierte
wieder einmal ein schikanöses Polizeikonzept. Eine rot-rote
Polizeistrategie, mit der viele gerechnet hatten, und genauso viele
nicht darauf vorbereitet waren. Kleinere, meist unkoordinierte Versuche,
sich genau das nicht (länger) gefallen zu lassen, mündeten in
Auseinandersetzungen, die die Polizei vorbestimmen, im Verlauf diktieren
und am Ende als Rechtfertigung ihres Vorgehen zweitverwerten konnte.
Es wird Zeit, dass sich der Wind dreht!
All diese Erfahrungen sind in folgenden Aktionsaufrufeingeflossen. Er ist ein Aufruf an alle, an GewerkschaftlerInnen, an
Lohnabhängige, Arbeitslose, RentnerInnen, außerparlamentarische Gruppen
und Organisationen, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Der Aufruf leugnet
nicht die verschiedenen politischen Positionen und Differenzen. Er will
sie nicht gegeneinander in Stellung bringen, sondern fruchtbar machen.
Der Aktionsaufruf versucht, die Gemeinsamkeiten verbindlich und bindend
zu machen. Die politischen Unterschiede werden in diesem
gesellschaftlichen Prozess sicht- und streitbar bleiben, als Aufruf zur
gemeinsamen, öffentlichen Debatte. »Aufstand. Jetzt.« Frankfurter Rundschau (2010)
›Die Verursacher und Profiteure der Krise blockieren‹ [> link]
Klassenkrieg – das wollten die meisten nicht hören und nicht
verstehen. Aber sie bekamen es zu spüren. Wie in anderen Ländern Europas
wurden Löhne und Renten gekürzt, Leih- und Zeitarbeit systematisiert,
der Niedriglohnsektor, das Prinzip ›Armut durch Arbeit‹ ausgeweitet,
Arbeitszeiten verlängert, das Leben zusammengestaucht.
Die Gewinne explodierten, die Renditen in der Wirtschaft
stiegen auf 15 – 20 Prozent. In der Finanzbranche wusste man selbst dies
zu steigern. Profite von 50 bis 150 Prozent innerhalb von Minuten waren
keine Seltenheit. Es herrschte Partystimmung im Business- und
Wellness-Bereich. Dann brachen die ersten Banken wie Kartenhäuser zusammen, ein
weltweiter Kreislaufkollaps des Kapitalismus drohte. Die Schreihälse
der ›Selbstheilungskräfte des Marktes‹ verstummten und der Staat
übernahm mit mehr als 500 Milliarden Euro die Rettung des privaten
Bankensektors. Nun werden die Billionen an Euros, die im Euroraum zum
Überleben von Banken und Konzernen eingesetzt wurden, aus den
Lohnabhängigen und Arbeitslosen herausgepresst. In fast allen
Euro-Ländern werden Schock- und Verarmungsprogramme beschlossen. Denn
zumindest die Herrschenden sind sich einig: Wir zahlen nicht für unsere
Krise, solange diejenigen stillhalten, die für uns immer bluten müssen.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung will den Staatshaushalt in
den nächsten drei Jahren um ca. 80 Milliarden Euro kürzen. 37 Prozent
der geplanten ›Einsparungen‹ betreffen den Sozialbereich. Niemand
braucht darüber diskutieren, ob das sozial ausgewogen ist. Es gibt
nichts mehr zu analysieren, es gibt nichts mehr zu erklären. Hören wir
also endlich auf, uns mit Klagen über soziale Kälte und sozialem
Kahlschlag heißer zu reden und folgenlose Drohungen auszustoßen. Es ist
Zeit, Taten folgen zu lassen!
Für den 12. Juni wurde unter dem bekannten Motto ›Wir zahlen
nicht für eure Krise‹ abermals zu Großdemonstrationen in Berlin und
Stuttgart aufgerufen. Die tatsächliche Mobilisierungskraft, die
Zerwürfnisse innerhalb der Bündnisse und deren Verlauf waren eher von
politischer Stagnation, als von Ermutung und greifbaren Perspektiven
geprägt. Alle wissen, dass die Parole ›Wir zahlen nicht für eure
Krise‹ längst von der Realität überholt ist. Wenn wir mit diesem
kleinsten gemeinsamen Nenner ernst machen wollen, dann müssen wir mehr
tun, als mit vielen Menschen auf die Strasse zu gehen. Wir müssen die
Richtung ändern, wir müssen die Symbolik hinter uns lassen, wir müssen
dafür sorgen, dass die Angst die Seite wechselt. Es ist höchste Zeit,
dass sich der Wind dreht, damit das Feuer nicht länger die Hütten
niederbrennt, sondern die Paläste der Brandleger heimsucht.
Gründe gibt es mehr als genug.
Und an Aufrufen mangelt es ebenfalls nicht.
Nehmen wir z.B. diesen:
»Aufstand. Jetzt! Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht wir?
Die erste Bürgerpflicht nach Vorlage des schwarz-gelben Spardiktats heißt:
Aufstand jetzt! (…) Es
richtet sich in aller erster Linie gegen die sozial Schwachen. Die eh am
wenigsten haben, sollen am meisten verzichten. Da mögen Merkel und
Westerwelle von Fairness und Ausgleich reden, was sie wollen. Fakt ist:
Sie lügen. Und noch schlimmer: Sie wissen das.« (FR vom 8.6.2010)
Sparen wir uns also die Zeit ellenlanger Erklärungen. Worauf
es jetzt ankommt, dieser Wut eine Richtung, einen Ort, eine Chance zu
geben – damit die Wut uns nicht auffrisst und die individuelle Ohnmacht
nicht länger unseren Alltag bestimmt.
›Wir sind nicht länger eure Geldautomaten‹ (Parole aus Italien)
Als gemeinsame Aktion einer bundesweiten Kampagne schlagen
wir vor, die Zentralen von zwei ›systemischen Banken‹ der Deutschen Bank
und der Commerzbank in Frankfurt für einen Arbeitstag zu blockieren.
Ziel ist es, den Geschäftsbetrieb zu stoppen, die Business-Party für
einen Tag auf den Kopf, also auf die Füße zu stellen.
Unsere Forderung ist schlicht:
Ihr zahlt die Billionen Euro, die euer
Finanzkrieg gekostet hat. Wir werden euch nicht in Ruhe lassen, wir
werden wiederkommen, an vielen Orten, zu den unpassendsten Gelegenheiten
und Zeiten. Mit einem bundesweiten Aufruf ist weder alles gesagt, noch
alles getan. Es ist ein Anfang gemacht, ein Signal gesetzt, mit dem
Ziel, dass in der Folge in allen Städten, in jeder Woche an einem Tag
eine Bank mit ›systemischen Risiko‹ belagert wird. Der Weg ist lang und
offen, er führt über Banken, über ihre Beteiligungen an Konzernen, bis
hin zu den politischen ›Beraterstäben‹, den Headquarters der Regierung.
Dazu brauchen wir ein gemeinsames Startsignal; einen langen
Atem und ein Konzept, das möglichst vielen eine Teilnahme ermöglicht.
Wir brauchen ein Konzept, das zwischen folgenlosen, störungsfreien
Demonstrationen und Fantasien vom Aufstand oder Generalstreik einen Weg
beschreibt und beschreitet. Wir sind überzeugt davon, dass es hier in Deutschland weder
an Analysen noch an Forderungen fehlt, die entweder den Kapitalismus
›zügeln‹ oder aber überwinden wollen. Über die Richtigkeit der Analysen
und Forderungen wird aber nicht auf dem Papier oder in Konferenzen
entschieden, sondern in einem gesellschaftlichen Prozess, der möglichst
viele Menschen zu Handelnden macht. Gelänge es uns, in einem großen
Bündnis die Zeichen umzukehren, jenen endlich Angst zu machen, die seit
Jahren mit unserer Angst spielen und von ihr leben, dann hätten wir noch
genug Zeit, über die nächsten Schritte zu beraten und zu entscheiden.
Im Rahmen unseres Aktionskonzepts schlagen wir folgende zentralen
Forderungen vor:
gegen den Neonaziaufmarsch im Januar 2010 zu orientieren. Eine gute
Basis, in der Entschlossenheit und Breite, Radikalität und Masse nicht
gegeneinander stehen, sondern miteinander verzahnt werden. Ein Konzept,
das für viele in Heiligendamm 2007 spürbar, in Dresden 2010 erfolgreich
war und bei den angekündigten Castor-Transporten 2010 für eine neue
Qualität des Widerstands sorgen wird.
Als Termin für eine zentrale Aktion in Frankfurt schlagen wir
euch den Herbst 2010 vor. Wir bitten euch, uns noch vor den
Sommerferien eure Zustimmung/Ablehnung zukommen zu lassen. Eine
Zustimmung, die den Weg betrifft, nicht die Details, die wir gemeinsam
besprechen müssen.
Mit dem entsprechenden Votum werden wir zu einer Aktionskonferenz
für Samstag, 11. September 2010 nach Frankfurt einladen.
Gruppen, Organisationen, Einzelpersonen, die diesen Aufruf
unterstützen, bitten wir um eine Nachricht an folgende Adresse:
ag_georg.buechner@yahoo.de
Auf dass sich der Wind dreht.
(Aktionsgruppe Georg Büchner & Co. Juni 2010)
Die Kugel rollt durch den Raum. Es ist zu hoffen, dass
möglichst viele sie aufgreifen. Die Richtung, die die Kugel nehmen soll,
ist beschrieben, über das Gewicht und die Wurfweite entscheiden alle
Beteiligte. Wer noch einmal in Ruhe einen Blick auf die angerissen
letzten 20 Jahre werfen will und auch der Frage nachgehen will, wie viel
Reform, wie viel Radikalität und wie viel Utopie ein Kampf braucht und
aushält, dem sei folgender Text ans antagonistische Herz gelegt:
http://wolfwetzel.wordpress.com/2009/03/25/alles-geht-kaputt-alles-geht-kaputt-und-ich-lache-2/
Wolf Wetzel