Das Wesen des Gott-Kapitals

Montag, 23. August 2010 um 13:17 - futziwolf
Aus dem »Erbauungsbuch des Kapitalisten« gefunden auf http://ofenschlot.blogsport.de/
Lesebefehl:
Paul Lafargue,
»Die Religion des Kapitals«, das Pamphlet (französische Erstveröffentlichung am 27. Februar 1886) liegt seit einem Jahr als Neuübersetzung (Andreas Rötzer) bei Matthes & Seitz vor. Lafargue ist der große kommunistische Feuilletonist und Satiriker seiner Zeit gewesen, vielleicht der einzige Marxist, der diesen Namen verdient hat (wir erinnern uns: Marx sagt von sich, er sei kein Marxist). Im Folgenden ein Auszug, S.45ff.


Das Wesen des Gott-Kapitals

1.
Meditiere über die Worte Deines Gottes, des Kapitals.

2.
Ich bin der menschenfressende Gott, ich nehme
Platz an den Tafeln der Fabrik und verspeise die Lohnarbeiter. Ich
verwandele ihr mickriges Leben in göttliches Kapital. Ich bin das
unendliche Rätsel: ewige Substanz, und doch nichts als vergängliches
Fleisch, meine Allmacht ist nichts als die Schwäche der Menschen. Die
leblose Kraft des Kapitals speist sich aus der Lebenskraft der
Lohnarbeiter.

3.
Ich bin das Prinzip der Prinzipien: Durch mich beginnt jede Produktion, bei mir endet jeder Austausch.

4.
Ich bin der lebendige, allgegenwärtige Gott:
Eisenbahn, Hochöfen, Getreidemühlen, Frachtschiffe, Weinberge, Gold und
Silbermünzen sind die membra disjecta* des universellen Kapitals. *[Laut Wikipedia »… Ausdruck für die (…) aus ihrer ursprünglichen organischen Ordnung gerissenen Teile eines Ganzen.«]

5.
Ich bin die unermessliche Seele der
zivilisierten Welt; mein Körper ist unendlich vielfach und mannigfaltig.
Ich lebe in allem was verkauft und gekauft wird. Ich wirke in jeder
Ware, und keine einzige besteht außerhalb meiner lebendigen Einheit.

6.
Ich glänze im Gold und stinke im Mist, ich bin der Genuss im Wein und das Ätzende in der Säure.

7.
Meine stets anwachsende Substanz fließt gleich
einem unsichtbaren Strom durch alle Materie, unendlich geteilt und
wieder geteilt, kerkert sie sich selbst ein in die besondere Gestalt
jeder Ware, und ohne mich zu ermüden bewege ich mich von einer Ware zur
anderen: heute Brot und Fleisch, morgen Arbeitskraft des Produzenten,
übermorgen ein Eisenbarren, aber auch ein Stoffballen, ein dramatisches
Werk, ein Fass voller Ruß, ein Sack Dünger: Die ewige Wiedergeburt des
Kapitals nimmt kein Ende. Meine Substanz stirbt nicht, aber die
Gestalten, in denen sie erscheint, sind zeitlich – sie enden und
vergehen.

8.
Der Mensch sieht, fühlt, riecht und schmeckt
meinen Körper, aber meinen Geist, der feiner ist als Äther, nehmen die
Sinne nicht wahr. Mein Geist ist der Kredit. Er braucht keinen Körper,
um sich zu offenbaren.

9.
Ich belebe und verwandle alle Dinge, ich bin
geschickte als der Chemiker [Jöns Jakob] Berzelius oder als [Karl
Friedrich] Gerhardt, ich verwandele weite Fluren, gigantische Maschinen,
schweres Metall und brüllende Herden in Aktien aus Papier. Und leichter
als elektrisierte Knallgasbläschen tanzen und hüpfen Kanäle und
Hochöfen, Fabriken und Bergwerke an der Börse, meinem geheiligten
Tempel, von Hand zu Hand.

10.
Ohne mich würde in den Ländern, die von den
Banken regiert werden, weder etwas beginnen, noch zu Ende gebracht
werden. Ich befruchte die Arbeit, ich domestiziere im Dienste der
Menschen die unüberwindlichen Kräfte der Natur und ich lege das mächtige
Ruder der gesamten Wissenschaft in seine Hände.

11.
Ich umgarne die menschliche Gesellschaft mit dem goldenen Netz des Handels und der Industrie.

12.
Der Mensch, der mich nicht besitzt, dem kein
Kapital zur Verfügung steht, wandelt nackt durch das Leben, umgeben von
wilden, mit allen denkbaren Folter- und Mordinstrumenten ausgestatteten
Feinden.

13.
Dem Menschen, der kein Kapital besitzt, aber
stark ist wie ein Stier, wird man das Gewicht, das auf seinen Schultern
lastet, noch beschweren; wenn er fleißig ist wie eine Ameise, wird man
seine Aufgaben noch verdoppeln; wenn er genügsam ist wie ein Esel, wird
man seine knappe Nahrung noch reduzieren.

14.
Was wären die Wissenschaften, die Tugenden und die Arbeit ohne Kapital? Eitelkeit und vergebliches Bemühen.

15.
Ohne die Gnade des Kapitals leitet die
Wissenschaft den Menschen abseits auf den Weg des Wahnsinns, stürzen ihn
Arbeit und Tugend in den Abgrund des Elends.

16.
Weder Wissenschaft noch Tugend, noch Arbeit
befriedigen den Geist des Menschen. Ich bin es, das Kapital, das die
hungrige Meute seiner Gelüste und Leidenschaften befriedigt.

17.
Ich gebe mich hin und entziehe mich ganz nach
Gutdünken, und ich lege keine Rechenschaft darüber ab. Ich bin der
Allmächtige, der über die lebenden Dinge ebenso herrscht wie über die
toten.


Lafargue

„Sie schleudern uns als Beleidigung die Bezeichnung homme de couleur
ins Gesicht. Es ist unsere Aufgabe als revolutionäre Mulatten, diese
Bezeichnung aufzunehmen und sich ihrer würdig zu erweisen. Radikale in
Amerika, macht Mulatte zu eurem Sammelruf! … Er bezeichnet Elend,
Unterdrückung, Haß. Wißt ihr etwas Schöneres?“



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