MANIFEST VINYL & POLITICS

VINYL & POLITICS

Eine neue Ecke im APONAUT, zwei Fragen und sogar ein paar Antworten.

1. Warum Vinyl?
Nun, zum einen sind wir selbst Süchtige, daran besteht kein Zweifel. Wir arbeiten uns in den unbeheizten Lagerhallen von Szenemailordern beinahe zu Tode, wir reden freundlich und sanft mit Plattenhändlern, wir spenden unser Blut und wenn es sein muss auch mal eine Niere, wir besuchen zu Weihnachten die Verwandtschaft, wir werfen unsere Pfandflaschen nur äußerst selten in Schaufenster, ja wir sind gelegentlich sogar nett zu unseren Frauen. Und wir nehmen all das und noch viel mehr auf uns, bloß um auch in diesen schwierigen Zeiten weiterhin zumindest ein bis zwei mal im Monat mit freudiger Erregung eine neue Scheibe schwarzen oder farbigen Goldes auf unseren Plattenteller legen zu können. Wir gestehen es an dieser Stelle freimütig: Wir haben unser Herz verloren, an den Rock´n Roll, den Blues, den Soul, den Jazz, den Punk, den Folk, den Rap, den Ska, den Calypso und vor allem an das Vinyl. [ UND, um hier nicht den Eindruck zu erwecken, wir würden die gute alte Cassette, auch TAPE oder MC genannt, diskreditieren:  Dieses wunderbare Medium gehört mit in diese Rubrik. Denn es gibt so einige Label und Bands, die immer noch, oder wieder, viel Arbeit und Kreativität investieren, um ihre ersten Veröffentlichungen oder neuen Ideen auf Tape zu releasen. Eine schönere und günstigere Art um sich als junger Musiker mit einem physischem Werk anzubieten gibt es kaum.]

Zum anderen, und auch dies muss hier mal gesagt werden, sind wir es schlicht und ergreifend leid, dass sich auf unseren Schreibtischen Dutzende von dreifach gelochten und vierfach mit „Promo“ bestempelten Papp- oder Plastikhüllen stapeln, in denen sich nichts anderes verbirgt als gänzlich seelenlose Kunststoff-Silberlinge, die mit ihrem widerlich sauberen Sound nicht einmal mehr die Generation Doof-und-moralisch-am-Ende vom PC weglocken, weil es das alles ja inzwischen ohnehin viel billiger im Netz gibt. Nein, werte Damen und Herren in den Bemusterungsabteilungen und –agenturen der Indie- und der total professionellen Plattenfirmen, wir tanzen nicht zu CDs, wir trinken nicht zu CDs, wir vögeln nicht zu CDs und wenn wir im Auto oder in der Bahn Musik brauchen, Herrgott nocheins, dann nehmen wir uns eben einfach ein Tape auf. Wisst Ihr noch wie das geht? Und damit auch wirklich der und die Letzte unter Euch begreift, dass uns unsere Restlebenszeit für diesen Industrieschrott künftig zu schade ist („Fick Dich, fick Dich, Industrie!“), im Anschluss noch ein Text der alten Ami-Punx von SCREECHING WEASEL, der schon 1998 eigentlich alles Wesentliche zum Thema gesagt hat!

Ach ja, bevor ich das vergesse: Alle die, die glauben, dass sie uns fürderhin mit Downloadcodes und MP3s abspeisen können, weil sie uns Schreiberlinge für devote Allesfresser halten, werden von uns fein säuberlich in eine schon jetzt sehr sehr lange Liste eingetragen, damit wir sie auch todsicher nicht vergessen, nach der sozialistischen Weltrevolution. Fahrt zur Hölle mit Eurem „next big thing“! Es stehen Zwerge auf Schultern von Riesen heißt es doch. Ihr seid selbst dafür zu klein.

COMPACT DISC
That thing you´re listening to is called a compact disc It´s a method of conveying sound It´s square outside Inside it´s round That thing you´re listening to is a digitally accurate Reading of the numbers that Make up different sounds In fact It´s the most technologically advanced Sound reproduction known to man At least in the commercially viable sense That thing you´re listening to is called a compact disc Every subtle nuance of a tune Is made available to you That thing you´re listening to is a high tech dream come true Technically it works with laser beams Yet you can learn to use it easily Throw your scratched, dusty records in the trash It´s time to move out of the past In the profit analysis sense That thing you´re listening to is called a waste of time An inferior and overpriced Product of an underactive mind That thing you´re listening to is a mutiflawed industry scam Devoid of any thought or heart at all It´s the antithesis of rock´n roll But no one cares that a record sounds better Cause you just can´t buy them so it just doesn´t matter at all And that´s common sensel


2. Warum Politics?
In Anlehnung an die SEX PISTOLS (Gott schütze Johnny Rotten!) erklären wir hier Folgendes: Wir sind Marxisten, Trotzkisten, Anarchisten. Und so wie Wolfgang Weyrauch glauben wollte, dass sein Gedicht sein Messer sei, so wollen wir jetzt und  in alle Ewigkeit glauben, dass Musik eine Waffe sein kann und sollte und deshalb verkünden wir hier zunächst erneut die frohe Botschaft von André Breton und Diego Rivera:
„Es sollte bereits klar geworden sein, dass unsere Verteidigung der Gedankenfreiheit nicht von der Absicht getragen ist, politische Indifferenz zu rechtfertigen. Wir sind weit davon entfernt, eine so genannte reine Kunst wiederbeleben zu wollen, die im Allgemeinen den ganz und gar unreinen Zwecken der Reaktion dient. Unsere Wertschätzung der Kunst ist viel zu hoch, als das wir ihren Einfluss auf das Geschick der Gesellschaft negieren könnten. Wir meinen, dass die höchste Aufgabe der Kunst in unserer Epoche darin besteht, sich aktiv und bewusst an der Vorbereitung der Revolution zu beteiligen.“

Dies bedeutet selbstredend noch nicht, dass jede Veröffentlichung, dass gar jeder Songtext explizit politisch sein muss, um von uns nicht gnadenlos verrissen zu werden. Doch ist uns aufgefallen, dass die überaus geschätzten Kollegen von der Musikpresse, auch jene, die unbezahlt für irgendwelche Szeneblättchen schreiben, meist überhaupt nicht mehr auf die Inhalte der Platten, die sie besprechen, eingehen. Sogar wenn eine Band noch entschieden Position bezieht (selten genug in dieser mut- und würdelosen Postmoderne), findet sich oft nur ein lapidarer Hinweis auf die „engagierten“ oder „politischen“ Texte und wenn die betreffende Kapelle schon lange als „eher links“ gilt, scheinen all die „eher linken“ Redakteure zu glauben, nun erst recht nichts mehr hinterfragen zu müssen. Aufgeklärt wie man (ja, meistens Mann) ist, weiß man das doch eh schon alles und weiß man auch, dass die anderen das alles wissen und wer hier den Erklärbär macht, der ist nun mal nicht mehr intellektuell (wahlweise: „witzig“ oder „Punk“) und muss sich in die Meckerecke stellen, weil er die Selbstverwirklichung (wahlweise: „Party“) der Bürgerkinder stört. Dazu mal ein kurzes HERR NILSSON-Zitat: „Die Ansichtslosigkeit mit der wir täglich Seiten füllen, ist nicht zum Lachen, nicht zum Weinen, sondern einfach nur zum Brüllen!“

Vor diesem Hintergrund ist es dann auch nicht sehr verwunderlich, wenn die Idee, an die von tausend Musen geküsste und natürlich immer geniale Künstlerschaft mit konkreten Forderungen heranzutreten, kaum noch verstanden und als wahnwitzig (wahlweise: „pubertär“) belächelt wird. Der geneigte Leser wird es bereits ahnen: WIR SEHEN DAS ALLES GANZ ANDERS!

Der Künstler kann uns mal, so wie sein copyright, bzw. seine Rechte. Was uns interessiert sind seine Pflichten. Kein Werk entsteht vollkommen unabhängig von all dem was zuvor andere gedacht, gesagt, geschrieben, gemalt oder meinetwegen aus Papier gefaltet haben. Und das soziale (nicht geniale) Wesen Mensch trägt eine Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen, insbesondere wenn es den Komfort einer funktionierenden Heizung und regelmäßigen Müllabholung schätzt und nicht alleine in einer Höhle vegetieren will, ob es nun musiziert, Theater spielt, Bücher schreibt, wöchentlich von der ARGE erniedrigt wird oder von Beruf Tischler ist. Und wir werden uns auch weiterhin erlauben nach dieser Verantwortung und den Konsequenzen, die aus ihr zu ziehen sind, zu fragen. Das bedeutet: Wir werden Plattencover, Grußlisten und Songtexte genau so bitter ernst nehmen wie wir es gerade für nötig halten und wer immer so warmherzig und mutig ist, uns seine neue LP, 10“  oder 7“ zu schicken, muss wissen, dass es hier keine Gefälligkeitsgutachten und keine falsche Dankbarkeit geben wird. Wenn Ihr mit einer Kritik nicht einverstanden seid, steht es Euch  frei, selbige zu kommentieren oder zu ergänzen (schreibt doch nen Leserbrief!) oder, wenn´s Euch zu sehr stinkt, in Zukunft Euer Zoig zu behalten. Und wir schreien´s laut:
KEINEN SCHEISS-FUßBREIT DER IST-DOCH-ALLES-HALB-SO-WILD-KULTUR!
Wir sind nicht Jedermann´s Freund und wir wollen es auch nicht sein! Wir regen uns auf, wir Spucken Gift und manchmal auch Galle und wenn was nervt, dann muss es kaputt sein und glaubt uns ruhig, wir schaffen das!

„No gods, no masters,
no kings nor their court jesters
bury the last
sons of avarice”
(AMERICAN STEEL)


Venceremos
Atakeks/ Wolf

 

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