TRAUMZEIT-Festival in Duisburg [UPDATE 02]

Samstag, 2. Juli 2011 um 11:20 - futziwolf
Der Versuch mit dem TRAUMZEIT FESTIVAL im Duisburger Landschaftspark zu leben
Für die Einen ist das TRAUMZEIT ein aufgeblähtes Konsumfestival, das mit längst den Zenit ihres Schaffens hinter sich gelassenen Indie-Rockstar-Schleim-Bands ködert, die man vielleicht gerne vor zehn Jahren in Duisburg gesehen hätte, (NOTWIST, GetWellSoon, CALEXICO, LAMBCHOP, MOGWAI, ec), gesponsert von Konzernen wie AtomkraftJaBitteRWE und BürgerkriegeFördernDasGeschäftSIEMENS/MERCEDES oder den Mainstreamförderern SPARKASSE. Für die Anderen ist das TRAUMZEIT das Wiedergutmachungskulturpaket an den missachteten Duisburger Konzertgängern, an denen seit Jahrzehnten alle Gigs von halbwegs bekannten Bands vorbei, eher in Köln, Münster oder Dortmund stattfinden, für Leute die akzeptiert haben, das sich von der Stadt organisierte Großfestivals nicht ohne Konzernsponsoren finanzieren lassen und das sie für n kleines Bier 2 Euro fuffzich bezahlen müssen. Ach ja, es gibt halt kein richtiges Leben im Falschen, Kapitalismus ist eben Scheiße.
Und dann gibts noch die TRAUMZEIT-Besucher, die eh keinen Bock auf die Erschaudern verheißenden großen Shows und das Zelebrieren der durchschaubaren alten Hits haben. Leute, die etwas unbekanntes kennen lernen und überrascht werden wollen. Was letztere Klientel anbelangt muss man schon nach dem ersten Festivaltag sagen, das sie gut bedient waren.

Die Schweizer Bubble Beatz, (www.bubblebeatz.ch) mit ihrem Bühnenfüllenden auf Schrottplätzen gesammelten Instrumentarium bezauberten mit ungewöhnlichen Ambient- und Drum’n’Bass-Variationen bei freiem Eintritt auf der Bühne vor dem Gasometer. Eben dort spielten danach die komplett verrückten Cyro Baptista & Banquet of the Spirits (www.cyrobaptista.com + www.myspace.com/cyrobaptista) aus Sao Paulo und New York, die ihren Sound aus so ziemlich allen Regionen und Einflüssen dieser Welt basteln und deren Konzert ich mir auch begeistert und ob deren Virtuosität und Vielseitigkeit zuweilen auch fassungslos angesehen habe; nach dem ich zuvor eine viertel Stunde lang dem Konzert von einem der Hauptacts, CARIBOU, beigewohnt habe. Deren ungewöhnlicher Bühnenaufbau in Form eines Quadrates in Mitten des Publikums, wie in einer Boxarena, der Stilvolle Kronleuchter darüber und die minimalistisch bestrahlten Leinwände machten Anfangs ordentlich Eindruck (der Aufbau ist Standard für alle TRAUMZEIT-Konzerte in der Krafthalle). Die Band spielte Stücke ihrer erfolgreichen Platte sehr Rhythmusbetont und ausufernd. Doch nach 15 Minuten war der Reiz verflogen, die Strukturen der Songs vorhersehbar und der schlechte Sound der Kraftzentrale tat sein Übriges um den Saal zu verlassen. Also wieder zurück zu den "Unkown Acts". Hier muss man Festivalleiter Tim Isfort trotz "Stilpluralismus" in Sachen "Erkenntnis erweiternder" Vielfalt tatsächlich bei der Zusammenstellung des Programms ein kleines Kompliment machen.


Zum Abschluss des Freitagabends dann noch mal ein Blick in die Gießhalle, die sich direkt nach Ende des CARIBOU-Konzertes rasch mit einem sehr erwartungsvollen Publikum füllte. Mit MOGWAI kam dann nach einigen Nerven zerrenden "Rockstars lassen warten" Minuten eine Band auf die Bühne, die ich wie oben erwähnt, gerne vor zehn Jahren in Duisburg gesehen hätte. Da hätte ich mich auch noch von dem MOGWAI-SOUND, den "Led Zeppelin des 21. Jahrhunderts auf Valium", den ausufernden melancholisch-depressiven "Krach-Elegien auf Ritalin" oder den immer wiederkehrenden Variationen von "Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn in Superslowmotion" noch beeindrucken lassen. Doch jetzt vermochte auch keine bombastischen Lightshow mehr den Eindruck von abgestandenem Käse zu verdrängen und mich länger als zwanzig Minuten verweilen zu lassen. Eine zusätzliche viertel Stunde musste ich MOGWAI allerdings noch ertragen, da die Meister der Laut-Leise-Variationen ihre Spannung halt nur dadurch steigern können, das sie im Laufe des Konzertes immer lauter werden, und mich so auf dem ganzen Fußweg bis zur Straßenbahn begleiteten.

Empfehlungen für Samstag: Wer die Balkan-Mariachi-Folk-Rock’n‘Roller DEVOTCHKA aus den USA mal Live sehen möchte, muss früh aufstehen, die spielen schon um 16:00 Uhr vor dem Gasometer (Samstag und Sonntag sind die Außenbühnen nicht mehr für lau, aber mit 5 bis 8 Euro noch akzebtabel). Und natürlich die TRAUMTANZ-Party im Gebläsehallenkomplex auf drei Floors mit den DJs der Duisburger Clubs Goldengrün, Djäzz, babSU und Steinbruch ab 22:00 Uhr. Ansonsten gibt es jede Menge unbekannte Überraschungen aus den Bereichen Worldmusic, Jazz und Electronic zu entdecken. Für Jazzfreaks dürfte Branford Marsalis & Joey Calderazzo Duo das Sahnehäubchen werden.

Empfehlungen für Sonntag:
Außer Patrick Wolf & Alec Empire (melancholischer GlammPop trifft IndustrialHardcoreTechno - Yo, die beiden treten tatsächlich gemeinsam auf) kenne ich keine einzige Band aus dem Line-Up, also bitte einfach mal auf die Homepage sehen, dort gibts zu den Infos über die Bands auch VideoClips.

Fazit:
Die Förderung unbekannter Bands und Musikstile ist auf einem guten Weg, muss aber im Vergleich zu den Mainstream-Acts mehr Raum bekommen. Worldmusic, Electronica und Jazz sind schön und gut, aber wieso wird HipHop eigentlich noch immer ganz ausgeblendet? Hier hätten z.B. DAN LE SAC & SCROOBIUS PIP doch schön gepasst. Jetzt bitte nicht nächstes Jahr THE STREETS einladen, das ist dann wieder fünf Jahre zu spät. Und was eben jene Publikumsmagneten angeht, wäre es mal an der Zeit sich von dem Risikofreien Booking ausgelutschter Starbands zu verabschieden und aktuellere, und dennoch angesagte Acts einzuladen. (was wäre aktuell und angesagt? CRISTAL FIGHTERS, SLEIGH BELLS, SCHOOL OF SEVEN BELLS, PONITAIL, PS I LOVE YOU,  THE TERROR PIGEON DANCE REVOLT, ... wären für dieses Jahr schön gewesen, 2012 steht auf einem anderen Blatt )

Beste TRAUMZEIT FESTIVAL bisher? die ersten drei, 1997 - 1999, und 2011.

[UPDATE 01]
Am heutigen Samstag kam ich leider zu spät aufs Festivalgelände um "ZU" (Metal, No-Wave, Free Jazz, Noise, Punk und Jazz) noch zu erleben, offensichtlich habe ich was verpasst, aber es wird gemunkelt die italienische Band, deren letzte Platte bei Mike Pattens Label Ipecac erschien, würde einige Gigs in der nahen Zukunft in der Gegend planen.
www.myspace.com/zuband

Nicht verpasst habe ich allerdings die Österreicher "BAUCHKLANG", die eine Rave-House-Dub-Elektro-HipHop-Drum’n’Bass Show ohne jegliche Instrumentierung, Samples oder Computer lieferten, nämlich A-Cappella bzw mit Mouth Percussion und Human Beatboxing. Sehr professionell und Clubtauglich mit überzeugenden Bässen und Beats, nur die von mir gefordeten Cowbells wollten sie nicht zum Besten geben...
www.bauchklang.com
www.myspace.com/bauchklang


Sehr nett fand ich noch die Electro-Legende KREIDER aus Düsseldorf, diesmal nicht nur mit Computer sondern auch Schlagzeug, Gitarre und Keybords. Und: das Foyer der Pumpenhalle war doch zu klein für KREIDLER.

[UPDATE 02]
Als Krönung am Sonntag das Konzert mit Patrick Wolf & Alec Empire. Leider spielen die ihr erstes gemeinsames Konzert in der Großen Halle der Kraftzentrale, in der die Akustik eher suboptimal ist, hätte ich lieber in der Gießhalle gesehen. Eine lange Umbaupause und ein verspäteter Soundcheck führten zu langen Schlangen vor dem Eingangsvorhang, stellten die Besucher vor eine harte Geduldsprobe und verkürzten das Konzert um ca. eine halbe Stunde, da nach Alec Empire & Patrick Wolf noch RUSCONI spielen sollten.



Seis drum. Das schon erwähnte Bühnenquadrat in Mitten des Publikums war mittlerweile in ein Wohnzimmer umgebaut worden, Stehlampen, Teppiche, ein Paar 50er Jahre Polstersessel und eine Tür, bzw ein Türrahmen mit Schwingtür, die im Laufe der Darbietung noch des öfteren durch den ganzen Bühnenraum wandern musste, mehrfach von Patrick Wolf herzhaft penetriert. Wer sich außer mir vorher gefragt hat, wie denn das zusammen passen soll, der knallharte IndustrialHardcoreTechno eines ALEC EMPIRE und der sanfte viktorianische DiscoRock des PATRICK WOLF: es passte wunderbar. Die Soundscapes und Beats von Mr. Empire bildeten einen kongenialen Rahmen zum Gesang von Mr. Wolf der mit Piano-, Geige- oder Harfeneinlagen die Suppe versüßte. Vielleicht zum Glück wurde es also nicht ein Konzert mit dem üblichen Runterspulen des neuen Albums incl. der alten Hits, sondern eine überraschende und immer interessante Performance zweier so angeblich gegensätzlicher Musikerfreunde. Es dauerte nicht lange bis die zumeist jüngeren Fans von den direkt vor der Bühne liegenden Kissen aufstanden, dem dahinter sitzen gebliebenen Publikum die Sicht nahmen und freudig die spärlich gestreuten Techno/Disco-Rhythmen betanzten. Aus dem Wohnzimmerkonzert machten die beiden gut aufgelegten Protagonisten dann schnell ein Kinderzimmerkonzert, zu dem mir das Grinsen die ganze Zeit nicht mehr aus dem Gesicht wollte. Wie alle glücklichen Momente leider viel zu schnell vorbei. Ein Versprechen bleibt jedoch im Raum: Das Schaffen von Alec Empire & Patrick Wolf weiter zu verfolgen bleibt spannend.




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