"Wo es schmerzt, da greift man hin" (24)

Montag, 30. Januar 2012 um 20:54 - futziwolf
Wo das wohl hinführt?
Der politische Wochenrückblick (07)
von Genosse Astrolabius
Über Jahrhunderte hinweg hatte uns die katholische Theologie gelehrt, dass man den Willen Gottes nicht ergründen könne und scheinbar unerklärliches Leid deshalb fromm und schweigend, sogar dankbar tragen müsse, im Vertrauen darauf, dass der Herr in seiner unendlichen Weisheit und Güte schon für Gerechtigkeit sorgen wird, und sei es im Jenseits nach dem Dahinscheiden des unwürdigen Menschleins. Dass diese, die herrschenden Verhältnisse sicherlich nicht in geringem Maß stabilisierende, Lehre gerade von denen verbreitet wurde, die von ebenjenen Verhältnissen in der Regel gehörig profitierten, mag immer mal wieder den einen oder anderen zum Nachdenken angeregt haben, die breite Masse jedoch trug geduldig ihr Leid und, wenn vorhanden, sogar ihr Geld zum Pfaffen um sich zu ziemlich gesalzenen Preisen ein paar Jahrhunderte Fegefeuer zu ersparen.

Heutzutage dagegen lebt man in einer ebenso aufgeklärten wie säkularisierten Welt und glaubt nicht mehr an solchen Mumpitz. Die Kirchen sind leer wenn nicht gerade Weihnachten ist, oder Konfirmanden sich mit der Aussicht auf das neue I-Phone zum zwei Jahre währenden Heuchelmarathon zwingen. Nein, von Pfaffen, Popen, Ultramontanisten und dergleichen lässt man sich heute nicht mehr in die Lebensgestaltung reinquatschen. Geradezu zum Lachen ist es doch angesichts unserer wissenschaftlich-empirischen Überlegenheit, wie die christliche Menschheit mit Weihrauch, Monstranz und anderem Budenzauber allzu lange allen Ernstes glaubte, etwas an ihrem Schicksal verändern zu können. Nein, heutzutage basiert alles auf Fakten, die sind nachprüfbar und werden statistisch korrekt interpretiert, was zur Folge hat, dass es der Menschheit stetig besser geht. Da nehme man mal unsere Wirtschaftswissenschaft, die ganz ohne lateinische Beschwörungsformeln mit der Verbesserung der Lebensqualität beschäftigt ist, und deshalb auch stets genau weiß, was zu tun ist. Wenn die Leute beispielsweise kein Geld mehr haben wegen der Krise, dann muss man Einkaufszentren bauen weil der Markt es so will, und das am Besten in jedem noch so kleinen Dorf. Denn Wirtschaft ist zu 90% Psychologie, und wenn die Waren nur genug blitzen und blinken, dann gehen die Leute auch kaufen, notfalls eben auf Pump. In Duisburg haben das jetzt sogar Teile der Linken verstanden, die im Rat kurzerhand für den Abriss von 400 Wohnungen gestimmt haben, damit ein „Outlet Village“ genug Platz zur segensreichen Entfaltung seiner standortfördernden Wirkung bekommt. Was die Mieter zwar nicht ganz so sehen, aber da sind dann wohl höherrangige Zwecke zu beachten.

Überall schießen nun solche Zentren aus dem Boden, wie gesagt in strenger Übereinstimmung mit den neuesten Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaft, doch statt dass die Leute dankbar über die gesteigerte Konkurrenzfähigkeit ihrer Heimatkommunen sind, rennen sie scharenweise zum Arzt und jammern dem auf Kosten der Allgemeinheit die Ohren zu, dass sie angeblich zu viel Stress hätten. Von „Burnout“ ist die Rede, „psychosomatische Leiden“ nehmen zu. Die Leute haben anscheinend keine Lust mehr, zu einigermaßen standortverträglichen Löhnen bis 22 Uhr an der Kasse zu stehen. Und diese Jammerei kostet mittlerweile immens viel Kohle: Jedes Jahr hauen die Krankenkassen 27 Milliarden Euro für die Behandlungskosten raus, und dazu kommt noch mal ungefähr die gleiche Summe wegen Produktionsausfällen. Also mehr als 50 Milliarden Euro jedes Jahr, um dem verwöhnten Pöbel mit Pillen und guten Worten wieder Lust zum Arbeiten zu verschaffen. Wie viele Panzer und Eurofighter man davon kaufen könnte! Aber gegen so eine Art von Obstruktionspolitik ist man hierzulande so gut wie machtlos, diese geradezu als asymmetrischer Kriegsführung der nicht-mehr-arbeitenden Klasse zu bezeichnende massenhafte Dienstleistungsverweigerung lässt auch führende Wirtschaftsweise ratlos zurück.

An diesem Punkt, muss man sagen, könnte man doch vielleicht vom klassisch christlichen Ansatz profitieren, zumal der Wahlspruch „ore et labore“, also „bete und arbeite“ doch recht gut in unsere Zeit passt. Warum geht man nicht einfach dazu über, Kirchen und Einkaufszentren quasi in einer Art symbiotischer Verbindung zu integrieren? Die Kassiererin kann in der Mittagspause mal kurz zur Seelsorge flitzen, während die jugendlichen Nachwuchskonsumenten sich von 400-Euro-Kräften im Mönchsgewand ihre neuen Ballerspiele segnen lassen. Und wer dann trotzdem über Stress klagt, gar ein „Burnout“ simuliert? Nun, seit geraumer Zeit bildet die Kirche ja wieder Exorzisten aus, und wem damit immer noch nicht geholfen ist, der wird eben in der nächsten Müllverbrennungsanalage als Ketzer dem Energierecycling zugeführt.

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