Buchtip :: Jürgen Landt - alles ist noch zu begreifen.

Dienstag, 20. März 2012 um 10:30 - futziwolf

Jürgen Landt.
alles ist noch zu begreifen.

Greifswald: freiraum-verlag, 2012.
118 Seiten, 13.95 Euro
ISBN: 978-3-943672-01-5

  Die Kurzgeschichten von Jürgen Landt sind derb und laut, leise und eindringlich; sie sind traurig und verzweifelt, amüsant und zum Brüllen komisch. Sie verzichten auf unnötigen Schmuck, nehmen keine Rücksicht auf den Leser und kommen auf den Punkt. In ihnen geht es um wahre oder gekaufte Liebe, um durchzechte Nächte und Spielcasinos, um Depression und Klinikaufenthalte. Der Band alles ist noch zu begreifen vereint bisher unveröffentlichte Kurzgeschichten aus verschiedenen Jahrzehnten. Darunter sind Texte, die in den letzten Monaten entstanden sind. Abgerundet werden diese durch Typearts, die Jürgen Landt ab 1983 in seine Schreibmaschine hackte.
:: REZENSION ::  Lest Landt! ::
Wie lange wollt ihr ihn noch ignorieren, diesen Stein des Anstoßes für Kopf und Magen, diesen Felsblock, an dem ihr doch nicht vorbeikommt? Warum verschließt ihr euch immer noch vor einer der wenigen aufrichtigen Stimmen in diesem Land? Weil seine wortkargen Wahrheiten wehtun, weil sein Schreien, sein schreiendes Schreiben schmerzt? Jürgen Landt nahm und nimmt keine Rücksicht, weder auf sich noch auf seine Leser, nicht auf Moden, nicht auf den guten Geschmack, was immer das auch sein mag. Seine Literatur ist sein Leben, sein Leiden - am Leben, an der Welt. Geboren 1957 in Demmin, Mecklenburg-Vorpommern, aufgewachsen in einer Einparteiendiktatur mit sozialistischem Deckmantel, in einem Staatsknast voller Philister, die Arbeiter und Bauern sein sollten, aber es nicht konnten, nicht wollten. Und so ist es nur folgerichtig, dass jemand wie Jürgen Landt in einer Atmosphäre der Enge, des Muffs, der Lüge und Heuchelei zum Außenseiter wurde – und blieb – bis heute. Den Herren der Arbeiter und Bauern blieb nur eins, nachdem sie ihn mit allen Mitteln – nicht nur mit Gefängnis -  in ihre Gesellschaft hineinzuzwängen versucht hatten: die Ausweisung, 1983. Landt ging nach Hamburg, nach der Wende nach Greifwald, wo er heute noch lebt und arbeitet – und leidet -  am Leben, an der Welt.

Das vorliegende Buch enthält Kurzgeschichten aus den letzten dreißig Jahren, darunter Perlen wie „dann ging auch er ins dunkle nebenan“, „krieg der schirme“ oder „im ausflug der unterteile“. Typearts bereichern den Band, sehr kunstvolle und originelle Schreibmaschinenarrangements aus den 1980er Jahren. Das Buch bietet einen gelungenen Querschnitt Landtschen Schaffens. Hier passen Form und Inhalt wie die Faust aufs Auge – und zwar mit unerhörter Durchschlagskraft. Form und Inhalt bilden eine Einheit, sie sind aus einem Guss.

Landts Geschichten nehmen kein gutes Ende, wie im richtigen Leben, denn am Ende steht der Tod und sonst gar nichts. Es gibt kein gutes, glückliches Ende, kein Miteinander, das ist alles Täuschung, Betrug, es gibt nur Neid, nur Gier, nur Egoismus, ein endloses, aufreibendes Gegeneinander in einer als atomistisch erlebten Gesellschaft. Alles ist zum Scheitern verurteilt, ob im Vorhinein oder Nachhinein, ob Geschlechterbeziehungen oder Beziehungen zu Geldspielautomaten. Alles in allem eine harte, schonungslose Literatur, in der sich die Zeitverhältnisse, die Macht- und Sozialstrukturen wie in einer Ölpfütze spiegeln, Verhältnisse, die das Elend und die Aussichtslosigkeit des vierten Standes, des Packs, des Pöbels beschreiben, es ist die Rede von Repräsentanten der großen Mehrheit der Bevölkerung, von denen, die niemals eine echte Chance bekommen, die auf immer und ewig Knecht und Magd sein werden und die sich dafür – im vollen Bewusstsein, von Geburt an Verlierer zu sein - auch noch gegenseitig fertigmachen. Wir können machen, was wir wollen, es ist und bleibt vergeblich. Es bleibt nur das Elend der menschlichen Existenz, eine namenlose Tristesse, das Vakuum vor dem Schrei, vor dem Amoklauf! Niemand anders als Jürgen Landt erzeugt diese Beklemmungen, diese klamme, stickige Atmosphäre der Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit als Resultat des real existierenden Irrsinns unserer Lebenswirklichkeiten. Landt lässt uns die giftigen Gase der Diktatur der gegebenen Verhältnisse einatmen, tief einatmen, Gase, die wir korrumpierten Wohlstandswürstchen nicht wahrhaben wollen, vor denen wir so gern die Nase verschließen, so gern davonlaufen …

Hier schreibt jemand mit heißem Herz, mit glühender Feder, ganz im Gegensatz zu jenem Heer kalter Stubengelehrter, den ach so aalglatten Elendsskribenten des Literaturbetriebs, die ihr Talent und Streben dem Mammon, dem Ruhm, dem Teufel des herrschenden Geschmacks opfern. „Literarischer Verdienst ist in Deutschland leider der Maßstab von wahrem Wert geworden“, musste Lichtenberg bereits vor einem Vierteljahrtausend beklagen, „weil Schulfüchse den Thron des Geschmacks usurpieren.“ Hier ist jemand mit seinem eigenen unverwechselbaren Stil, authentisch bis zum Bersten. Und es wäre Jürgen Landt gegenüber ungerecht, ihn etwa mit einem Bukowski zu vergleichen, obwohl er keinen Vergleich zu scheuen bräuchte. Landt ist Landt, einzig in seiner Art, unverwechselbar! Ihm fehlt Aufmerksamkeit, der „Hype“ in dieser weichgespülten, nach den Erfordernissen des „Marktes“ gleichgeschalteten Literaturlandschaft, die einzig auf den so genannten Mainstream, auf Massenverträglichkeit setzt, auf Profit, auf Risikominimierung. Die Kunst kann wie immer krepieren, die Kunst kommt wie immer zu kurz. Ich mag nicht daran denken, dass Jürgen Landt auf der langen Liste der Verkannten landet.
 

Also noch einmal und immer wieder: Lest Landt!
 

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