G20-Gipfel 2017 in Hamburg :: Presseerklärungen, Bilder, Kommentare, Videos, Szenen, monster mythen mutationen ...

Sonntag, 9. Juli 2017 um 16:32 - futziwolf

Presseerklärung der Roten Flora zu den Ereignissen in der Nacht vom Freitag auf Samstag im Schanzenviertel. Bitte lesen!







































Audio:
Der Polizeiüberfall auf das mobile "Alles Allen Soundsystem" http://www.freie-radios.net/83985?

Kommentare:
"Auch Außenminister Gabriel findet daß Supermärkte & Autos demolieren dasselbe ist wie Asylbewerber abfackeln zu wollen."
"Was bezwecken @sigmargabriel und @peteraltmaier, wenn sie die Krawalle in Hamburg mit dem Terror von Neonazis gleichsetzen?"

"Weder NSU Morde noch brennende Flüchtlingsheime erzürnten Großteile der bürgerlichen Mitte so sehr. Da muss man schon fragen, warum."
"Noch mehr Angst als der Einsatz von bewaffneten SEKs gegen Feiernde & Störer machen mir die Bürger, die diesen Autoritarismus bejubeln."
"Auch deutsche Autos unter den Opfern."
"Akkreditierung ohne Begründung vom BKA entzogen! Noch ein Kollege der nicht mehr über G20 berichten soll. Diesmal vom "linksextremen" Weser-Kurier."
"Ein BILD-Reporter (!!!) attestiert der Polizei "völlige Eskalation" und wirft ihr Attacken auf Presse vor."
"Brutale Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen durch Polizeigewalt in Hamburg"
"Wer hier die staatliche Gewalt nicht mehr sieht, der schwimmt so tief im autoritären Saft das ihm nicht mehr zu helfen ist!"
"Wie man in Deutschland immer zurecht auf Länder wie die Türkei zeigt - und dann passiert so etwas wie G20 in Hamburg. Unfassbar."
"Ein Wasserwerfer ist keine Waffe, aber eine Luftmatratze ist Passivbewaffnung."
Updates vom 12.07.2017:

"Für die linksradikale »Welcome to Hell«-Demo war nach ein paar Metern Schluss. Die Polizei wollte es so."
"Gab es eine Flora-Falle? Polizeifreies Schanzenviertel gibt Anlass zu Vermutungen."
"Ein Logbuch Spezial zu den Nachwehen des G20-Gipfels in Hamburg"

>>> weitere Texte:
> Gedanken zur Schanze während der #NoG20-Proteste und #BlockG20 <
> Gegendarstellung vom NDR-Reporter @ChBaars: Erst durch die Polizei wurde Kreuzung blockiert. <

> taz-Kommentar G20-Proteste in Hamburg: Professionelle Eskalation >
> Tom Strohschneider über den Backlash gegen alles Linke und einen rasenden Zug ins Autoritäre <
> Ein Gruß aus der Zukunft | Mitteilung des ..ums Ganze!-Bündnis zum Verlauf der G20-Proteste <
> STELLUNGNAHME der Geschäfts- und Gewerbetreibenden des Hamburger Schanzenviertels <

> Autoritäre Sehnsüchte <
Updates vom 25.07.2017:
Die Debatte über die G20-Randale <
 

 

Gedanken zur Schanze während der #NoG20-Proteste und #BlockG20:

Weil meine Timeline sich zu Hamburg gerade überschlägt und viele - auch für mich sonst als ruhig und überlegte Menschen rüberkommende - Personen fast in der in Hyperventilation sind, kurz einige Gedanken zu den Abendstunden in der Schanze:
1. Natürlich ist eine pauschale Verurteilung der #NoG20-Aktivist*innen fehl am Platz. Die Geschehnisse delegitimieren weder den fortgesetzten Protest noch sind sie ein Zeichen dafür, dass die Extremismusdoktrin vielleicht doch richtig sei. Tatsächlich sieht es doch so aus - und das kenne wir auch vom 1. Mai und anderen Großveranstaltungen - dass ab einem bestimmten Zeitpunkt der polizeilichen Passivität - die Straßen durch Partypeople und unorganisierte Einzelpersonen übernommen wurden. Autonomer Aktivismus hat dafür gesorgt, dass Straßen blockiert waren, dass Barrikaden entstanden und sicher auch für die ersten Feuer und Angriffe auf Banken und als gentrifizierend empfundene Läden. Wahllose Plünderungen aber sind das Kennzeichen von eines betrunkenen, feierenden Klientel - und das kann man auf vielen Videos auch erkennen. Warum ganz Hamburg in dieser Nacht repräsentiert ist? Darum: https://twitter.com/hakling/status/883403348619087872 Es ist ja etwas so, genauso wie die Polizei nach ihren regulären Hundertschaften die Spezialkräfte nachgezogen haben, werden bei Ausschreitungen nach den Sportgruppen der Autonomen auch die Spezialkräfte nachgezogen: betrunkene, testosterongeladene Feiernde. Zum Zeitpunkt des Stürmung der Schanze waren alle organisierten Gruppen schon längst weg, denn es gibt hier einen Plan: nach den schweren Angriffen der Polizei am Donnerstag aktiv bleiben, unterwegs bleiben, dezentral blockieren und militant Polizeikräfte binden, um anderen Protestformen den Handlungsspielraum zu eröffnen.
























2. Aber auch der Polizei hier eine bewusste Eskalation zu unterstellen, scheint mir nur partiell richtig. Die Situation in der sich die Schanze im wahrsten Sinne des Wortes verschanzt hat, war eine schwierige: Alle G20-Staatschefs und ihre Delegationen waren nach dem Konzert in der Elbphilharmonie wieder unterwegs und ihre Abreise musste abgesichert werden. Dass die Hamburger Polizei Probleme mit ihrem Einsatzkräftemanagement hatte, ist schon in den vergangenen Tagen deutlich geworden. Dazu kommt das Hamburger Einsatzkonzept, dass fortgeschrittene Crowd-Control-Taktiken wie die Berliner Durchmischung nicht kennt und auf massive und voranstürmende Blöcke unter Wasserwerferschutz setzt. Tatsächlich ist die Hamburger Polizei sicherheitspolitisch erstaunlich lernresistent und agiert mit Taktiken der 80er Jahre, was zu Szenen der 80er Jahre führt. Hamburg ist auch aus diesem Grund kein adäquater Ort für den G20-Gipfel gewesen. Die Hinzuziehung von Spezialeinheiten war dann zwar in der internen Logik folgerichtig, aber erfolgte erstens zu spät und zweitens unter Gefährung der Anwesenden: Spezialkräfte sind für "Neutralisierungen" ausgebildet, nicht für Crowd Control. Man hätte mit diesem Mindset auch die Armee holen können, die wären genauso (in)kompetent gewesen. Als Begründung für die stundenlange Untätigkeit wurde angegeben, dass man die "Vorbereitung schwerer Straftaten" beobachtet hätte. Unter anderem wären Molotov-Cocktails vorbereitet gewesen und die Hausdächer mit Gehwegplatten staffiert worden. Diese Behauptung war entweder eine krasse  Fehleinschätzung oder eine bewusste Lüge, so wie die Polzei schon vorher Molotov-Cocktail-Angriffe auf Beamte wohl erfunden hat. Denn zum Zeitpunkt des Eingreifens waren Baugerüste und Dächer von Schaulustigen besetzt, denen man ansah, dass sie ein SEK-Einsatz gegen sie ziemlich lächerlich fanden und auf die gezückten Waffen mit Hamburger Gelassenheit reagierten (und dafür muss man diese Stadt lieben) und die Beamten auslachten.








 















3. Das polizeiliche Eingreifen war letztendlich geboten. Und zwar deutlich niedrigschwelliger, aber schneller. Denn die Brandherde in der Schanze haben die dortigen Hausbewohner bedroht und sowohl der giftige Rauch der Barrikaden als auch die Feuer in den Erdgeschossgewerberäumen stellten eine konkrete Gefahr für die Bewohner dar. Eine Absicherung der Feuerwehrkräfte und konsequentes Löschen der Brandherde hätte schon Stunden vorher erfolgen müssen. 4. Mein Fazit also: zur Debatte sollte hier nicht eine linke Protestbewegung stehen, die nur bedingt und nur im Sinne der Blockade (auch militant) gehandelt hat und deren Aktionen sich verselbstständigt haben. Vielmehr geht es um die Aufarbeitung der Dissonanz zwischen der Hamburger (Innen-)Politik und der durchgehend gescheiterten Polizeitaktik, die mit Mühe und Not zwar die Staatschefs und ihre Delegationen schützen kann, aber eine sichere Stadt in diesen Stadt nicht gewährleistet und auch intellektuell und organisatorisch nicht gewährleisten kann.  Hannes Kling‏ @hakling 8. Juli







"Wir hatten die Hoffung das die Mauer sie trennt, dass sie dann flüchten war nicht geplant" - Polizeichef Dudde zum Einsatz bei #w2h.
 

 

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ARD-text zu "Gegendarstellung vom NDR-Reporter @ChBaars: Erst durch die Polizei wurde Kreuzung blockiert."

Polizeieinsatz vor G20
Protestcamps geräumt, Wasserwerfer aufgefahren
Stand: 05.07.2017 11:56 Uhr

>>> Die Hamburger Polizei hat am Abend Protestcamps geräumt und eine Demonstration mit Wasserwerfern aufgelöst. Die Protestierenden wollten mit Musik und Getränken ein Zeichen gegen G20 setzen. Die Polizei begründet ihr entschiedenes Vorgehen mit dem hohen Gefahrenpotenzial.
Gestern Abend hat es im Hamburger Stadtteil St. Pauli erste größere Konfrontationen zwischen Protestierenden und Polizei gegeben. Dort demonstrierten Gegner des G20-Gipfels. Gegen diese rückte die Polizei mit Wasserwerfern an und löste die Demonstration auf.
Polizei spricht von Blockade durch Demonstranten
Die Polizei begründet dieses Vorgehen mit einer aus ihrer Sicht erfolgten Blockade. Nach Angaben einer Sprecherin blockierten die - etwa tausend Demonstranten - eine Straßenkreuzung. Die Einsatzkräfte setzten demnach die Wasserwerfer ein, um die Menge zu vertreiben. Aufforderungen zum Verlassen der Straße seien die Menschen zuvor nicht gefolgt.

Reporter: Blockade erst durch Polizei

NDR-Reporter Christian Baars schildert die Geschehnisse anders.
Ihm zufolge waren einige hundert Menschen in einem Park neben der besagten Straßenkreuzung zusammengekommen, um zu "cornern", das heißt sie saßen oder standen dort und tranken Bier. Ihm zufolge tauchten unvermittelt Hunderte Polizisten mit vier Wasserwerfern, Räumfahrzeugen und einem über dem Platz kreisenden Hubschrauber auf. Sie hätten alle Zufahrten zur Kreuzung versperrt. Erst in diesem Augenblick sei die Straße blockiert gewesen.

Der Verkehr wurde großräumig umgeleitet. Nachdem keine Autos mehr auf den Straßen unterwegs waren, hätten sich einige Leute auf die Fahrbahn gestellt und gesetzt. Gleichzeitig seien zahlreiche weitere Menschen zu dem Platz geströmt, um zu schauen, was dort passiert. Etwa eine halbe Stunde nachdem die Polizei die Straßen gesperrt hatte, habe sie per Lautsprecher aufgefordert, die Straße zu räumen. Gegen 23 Uhr habe sie dann begonnen, die Leute unter Einsatz des Wasserwerfers zu vertreiben. Nach Einschätzung von NDR-Reporter Baars war zu keiner Zeit eine Aggression von Demonstranten zu erkennen.

Tagsüber hatte die Polizei bereits Protestcamps in Altona geräumt. Denn die Hamburger Polizei akzeptiert zwar Camps, nicht aber Übernachtungen dort. Ein Übernachtungsverbot wurde nun vom Hamburger Verwaltungsbericht bestätigt. Einige Kirchengemeinden dulden nun die Übernachtung von G20-Demonstranten. Zudem diente das Hamburger Schauspielhaus einigen als Schlafplatz. <<<


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taz-Kommentar G20-Proteste in Hamburg
Professionelle Eskalation

Im Vorfeld des G20-Gipfels gibt sich die Polizei alles andere als deeskalativ. Im Gegenteil: Willkürlich probt sie den Ausnahmezustand.
Triebabbau mit Pfefferspray: Polizisten räumen ein #NoG20-Camp im Hamburger Stadtteil Altona

Man muss sich das mal vorstellen: Würde ein G20-Gipfel in, sagen wir, Sankt Petersburg stattfinden, und würden noch vor Beginn des Gipfels Menschen, die beim abendlichen Bier zusammen stehen, mit Wasserwerfern auseinandergetrieben – hierzulande wäre die Hölle los.

Polizeistaat!, würden es heißen, Verletzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit! Aber der Gipfel findet nicht in Sankt Petersburg statt, sondern in Hamburg. Und weil offenbar ganz klar ist, dass hier immer alles mit rechtsstaatlichen Mitteln zugeht, und weil die Polizei ja schließlich den reibungslosen Ablauf des Gipfels schützen muss – schwer genug in einer Großstadt – ist hier eben nicht die Hölle los.

Doch die Polizei probt in Hamburg in bester Manier der Selbstermächtigung den Ausnahmezustand. Sogar sie selbst räumt auf Nachfrage ein, dass Straftaten vor dem Einsatz nicht vorgelegen hätten – nur Personen hätten sich auf der Fahrbahn befunden, die nach Aufforderung nicht zur Seite gegangen wären. Echt jetzt? Wasserwerfer gegen ein Straßenfest?
Potenzgehabe der Polizei

Verhältnismäßigkeit der Mittel ist noch so ein rechtsstaatliches Prinzip, das von der Polizei mal eben nass gemacht wird. Fast müsste man lachen über das ganze Potenzgehabe. Jetzt hat die Polizei die neuen Wasserwerfer, da muss sie sie auch ausprobieren. Jetzt ist sie schon mal mit 20.000 Männern und Frauen im Einsatz, da sollen die auch was zu tun haben.
Abreaktion und Triebabbau müssen sein, wir wissen ja schon, was passiert, wenn man den Leuten nichts zu tun gibt.
Aber das, was hier gezeigt wird, ist professionelle Eskalation. Was zurück bleibt, sind Wut und Frust und Unverständnis. Und wenn es in den nächsten Tagen knallt, ist ja klar, wer Schuld ist: Es sind, wie immer, die Chaoten.
 

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Gefährlicher als die Randale
Tom Strohschneider im ND über den Backlash gegen alles Linke und einen rasenden Zug ins Autoritäre

Zugegeben: Mit welcher Dynamik die Debatte nach den Krawallen von Hamburg sich zu einem radikalen Backlash gegen alles Linke, alles Differenzierende, ja gegen eine Form von Kritik überhaupt auswachsen würde, war nicht einmal im Feuerschein der brennenden Barrikaden abzusehen.

Was seit Ende der vergangenen Woche sich in die Öffentlichkeit ergießt, ist in vielen Facetten ohne Beispiel: die empörungsgesteuerte Gleichsetzung von sich links kostümierenden Randalierern mit den tödlichen Anschlägen des IS oder einem neonazistischen Terrorismus; die Verengung des politisch Sagbaren auf Bekenntnisse pro Polizei; die Verachtung jeder differenzierenden Kritik, die als Verharmlosung oder Überläufertum gebrandmarkt wird.

Das Ganze hat inzwischen einen beängstigenden Zug ins Autoritär-Reaktionäre bekommen. Ein großer Teil der Debatte hat sich von seinem Ursprungsgegenstand entfernt, die Krawalle dienen nur mehr als Hintergrundbild, im Vordergrund läuft schon ein anderer Film. Ein gefährlicher. Da wäre unter anderem das argumentative Zusammenrücken am rechten Rand zu nennen, bei dem sich Union, Journalisten und AfD nicht nur die Begriffe in die Hand geben (Linksfaschisten, Terroristen), sondern auch eine Eskalation der Forderungen in Gang gesetzt haben, in der es jetzt schon nicht mehr für eine Schlagzeile ausreicht, bloß das Verbot der Antifa oder die Räumung aller linken Zentren zu verlangen. Was kommt als nächstes? Der Ruf nach dem Verbot linker Zeitungen? Und wer sagt, was links ist?

Ein wichtiger Aspekt dieser Radikalisierung der Debatte lässt sich mit einem Fangnetz vergleichen, das den Zwang zur Eindeutigkeit über dem Öffentlichen ausbreitet und weithin eine Wirkung entfaltet, die Spielräume demokratischer Auseinandersetzung suspendiert. Schon der ebenso banale wie wichtige Hinweis, dass es jetzt nicht nur auf einer Seite Grund zur Aufarbeitung gibt, muss mit empörter Zurückweisung rechnen: Distanziere dich erst von Gewalt!

Dass es darum aber gar nicht geht, wird nicht einmal verborgen – denn das Aussprechen der Distanzierung beendet nicht den Vorwurf. Die Funktion des Gewaltvorwurfs ist nicht auf Demonstrationskultur oder Strafrecht gerichtet, sondern darauf, eine andere Bedrohung zu überdecken: Es hat in Hamburg in Teilen eine Volte der Exekutive gegen Gerichte, gegen Grundrechte und gegen die Pressefreiheit gegeben. Das allgemeine Linken-Bashing soll davon ablenken. Damit sind weitere Probleme verbunden.

Das Kleinste: Die Debatte in der Protestbewegung darüber, wo die Grenzen linker Solidarität und Aktionsformen liegen, wird so nicht einfacher, weil es die Neigung zum abwehrenden Reflex bestärkt, wenn alle jetzt »Rock gegen Links« fordern.

Hinzu kommt: Indem hier medial angetrieben die »gute Gemeinschaft« gegen die »bösen Randalierer« angerufen wird, wächst nicht nur die vom Boulevard verkaufsträchtig angeheizte Gefahr von Selbstjustiz, wird nicht nur der ewige Kreisel der Rufe nach immer neuen Gesetzesverschärfungen am Laufen gehalten, sondern es werden auch gesellschaftliche Ursachen von Randale komplett »entnannt«. Oder anders gesprochen: Es wird alles getan, damit eine andere Antwort auf die Frage, wer und warum da überhaupt Läden plündert und Steine auf Polizisten wirft, gar nicht erst aufkommt. Ist das wirklich »Linksextremismus« oder »Randaletourismus«? Wer, wie der Politikwissenschaftler Franz Walter, einmal einen kritischen Blick auf mögliche soziale Ursachen Randale zu werfen versucht, muss mit dem Vorwurf rechnen, »auf der falschen Seite« zu stehen. So wird aber auch kritische Sozialwissenschaft, skeptische Polizeiforschung, überhaupt jede nicht dem Grundton des Backlashs folgende Betrachtung inkriminiert.

Walter hat zum Beispiel darauf hingewiesen http://www.demokratie-goettingen.de/blog/protest-und-militanz, dass Randale in jüngerer Zeit besonders in solchen Gesellschaften zu beobachten ist, »in denen die jungen Erwachsenenkohorten dominieren und Aufwärtsmobilitäten durch massenhafte innergenerationale Konkurrenz in fiskalisch schwierigen Zeiten fraglich sind«. Klingt kompliziert, ist aber ein wichtiger Hinweis auf klassenpolitische Fragen, die man bei der Ursachenforschung nicht außer acht lassen kann.

Nicht das Vorstadtproletariat wirft Steine, sondern es dominieren »junge Leute mit Abitur und Hochschulausbildung«, für die »der Einstieg in eine sichere, materiell attraktive Berufslaufbahn versperrt ist«. Walter sagt ausdrücklich, dass das »nicht unbedingt die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland beschreibt«. Die Notwendigkeit, sich die Frage nach dem sozialen Warum der Randale zu stellen, erübrigt sich dadurch aber nicht.Parteipolitische Konkurrenz und Wahlkampf mögen die Dynamik dieses Teils der Hamburg-Debatte zum Teil erklären. Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es die anderen Stimmen weiterhin gibt.

Aber man wird sich nichts vormachen dürfen: Wenn immer lauter dazu aufgerufen wird, sich vorbehaltlos auf die Seite der Polizei zu stellen, wenn nur noch eine kleine Opposition auf die Grundrechte pocht, wenn Versammlungsfreiheit sicherheitspolitischen Erwägungen untergeordnet wird, wenn der Gewaltbegriff nur noch zum Instrument populistischer Attacken gegen Links taugt, wenn die innere Mobilisierung damit angefeuert wird, dass die Krawalle von Hamburg mit Nazimorden und IS-Terror in eins gesetzt werden, wenn es ohne größeren Aufschrei bleibt, dass Polizei und Politiker sich eine kritische Presse verbitten, wenn Journalisten auf »schwarzen Listen« auftauchen, dann haben wir ein weit größeres Problem als das der Randale.


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| Ein Gruß aus der Zukunft |
Mitteilung des ..ums Ganze!-Bündnis zum Verlauf der G20-Proteste
in Hamburg
, 11. Juli 2017

Ein Gruß aus der ZukunftEs ist ja nicht so, dass sie es nicht versucht hätten. Wie kaum zuvor haben „Sicherheitsbehörden“ und etablierte Politik zum G20-Gipfel aufgeboten, was dem bürgerlich-demokratischen Staat so an repressiven und ideologischen Apparaten zur Verfügung steht, um Proteste klein und die Lage unter Kontrolle zu halten. Erst mediale Einschüchterung, Camp- , Einreise- und Übernachtungsverbote, Aufhebung der Versammlungsfreiheit und Polizeiputsch gegen die Justiz, Militarisierung der Polizei, Spaltung des Protestes durch die Grünen, die während des Gipfels eine Kundgebung organisierten, die sich ausdrücklich nicht gegen diesen richtete und zum „Haltung zeigen“ für „unsere Lebensart“ aufrief. Dann während des Gipfels fast 20.000 Polizist*innen mit dem Berufssadisten Dudde als Einsatzleiter, dutzende Wasserwerfer, Räumpanzer, Pferde- und Hundestaffeln, Massenverhaftungen, Hubschrauberflatrate und Sondereinsatzkommandos mit scharfen Waffen, die in einer Brutalität gegen linke Camper*Innen, autonome Demonstrant*Innen, Viertelbewohner*Innen, Journalist*Innen und Sitzstreiks von Geflüchteten vorgingen, dass es schon dutzende Schwerverletzte gab, bevor der Gipfel überhaupt begonnen hatte – und ein Wunder ist, dass niemand ums Leben kam. Mit anderen Worten: Der Polizeieinsatz zum G20-Gipfel war tatsächlich ein „Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ (Andy Grothe, SPD), das uns einen direkten Blick auf die autoritäre Wende des Neoliberalismus im Herz des europäischen Kapitalismus eröffnet hat. Allein: Es hat alles nichts genützt.

Wo der Innenminister angekündigt hatte, man werde jede Militanz „im Keim ersticken“ knallte es stundenlang – und dass mit einer Beteiligung und Freude, wie es sie lange nicht mehr gab. Wo er ankündigte, dass man keine „verbotenen Symbole“ dulden werde um seinem Geschäftspartner*innen in der „Flüchtlingsabwehr“, dem lupenreinen Demokraten Erdogan, zu gefallen, wurde eine riesige PKK-Fahne auf der Großdemo stundenlang quer durch die Hamburger Innenstadt getragen. Wo die herrschenden Charaktermasken mit Nachdruck dazu aufrief, dass man sich bitte nicht mit den Linksradikalen gemein machen solle, kamen „trotz und wegen“ der Randale am Freitag über 80.000 Menschen auf die gemeinsame Abschlussdemo am Samstag. Während dessen waren auf der Regierungsdemo weniger als 5000 Menschen. Und während der Betrieb des wichtigsten deutschen Hafens zu „jeder Zeit gewährleistet“ sein sollte, braucht die Betreibergesellschaft nun fast drei Tage um den „blockadebedingten Rückstau“ aufzulösen. Diese Aufzählung könnte man fortsetzen, was bleibt ist: Die Strategie des rechten SPD-Senates, den Protest durch teilweise Integration zu spalten und den radikalen Rest mit Kriminalisierung klein zu halten, ist gescheitert. Die Eskalationsspirale, an der die Polizeiführung in einem selbst erklärten Ausnahmezustand so munter tagelang gedreht hat, ist ihr mit Karacho um die Ohren geflogen. Daran zeigt sich auch der Erfolg vergangener Bewegungen in Hamburg, der sich in einer Stimmung ausdrückte, die den beliebten Slogan „ganz Hamburg hasst die Polizei“ häufig erstaunlich wenig aufgesetzt wirken ließ. Durch die Vielfältigkeit von Aktionsformen und Spektren ist es zumindest kurzzeitig gelungen, gegen den inszenierten Showdown zwischen autoritärem Neoliberalismus und nationalistischem Rollback endlich wieder die dritte Option eines grenzübergreifenden Widerspruchs auf die Tagesordnung der Weltöffentlichkeit zu setzen. Das ist mehr als ein taktischer Sieg, denn damit wurde zugleich die heuchlerische Inszenierung des Exportweltmeisters Deutschland als „Hort von Vernunft und Demokratie“ durchkreuzt.

Die Vielfalt der Aktionsform hat sich dabei praktisch ergänzt, auch wenn das einige lieber nicht so laut sagen wollen. Denn ohne militante Aktionen an anderer Stelle, die viel Polizei gebunden haben, wären wohl weder die Blockadefinger noch die Hafenblockade so relativ erfolgreich gewesen. Inhaltlich haben die verschiedenen Aktionen, wie die Blockaden der Gipfelteilnehmer*innen, der Bildungsstreik und die Blockade im Hafen zudem tatsächlich das Bild eines #HamburgCityStrike ergeben, dem es um mehr als nur das Rütteln am Zaun der Mächtigen ging: Nämlich um die Kritik kapitalistischer Herrschaft als Ganzer. Für unseren Teil können wir sagen, dass die Logistik einer Gesellschaft in der Menschen ertrinken müssen, während Waren frei fließen dürfen, nicht nur blockiert gehört, sondern erfreulicherweise auch blockiert werden kann. Wie eine antikapitalistische Praxis aussehen kann, die an diese Erfahrung anknüpft und die Logistik des Kapitals mehr als nur symbolisch unterbricht, darüber wird nun in der nächsten Zeit zu reden sein. Nicht vergessen dürfen wir auch all jene Freund*Innen, die nun immer noch im Gefängnis sitzen bzw. im Krankenhaus liegen: Unsere Solidarität ist euch sicher.

Natürlich: Auch dieses Mal waren hier und da Spinner*innen am Start, die an Stelle einer Kritik des Kapitalismus lieber reaktionäre Feindbilder und antisemitische Verschwörungstheorien verbreiten, aber sie haben – auch wegen der Präsenz der radikalen Linken – die Proteste nicht geprägt. Im Gegenteil: Wenn es darum geht den nationalistischen Kitt, der diese Gesellschaft wie kaum ein anderer immer noch zusammenhält, auf breiter Front antikapitalistisch zu zersetzen, dann war der kleine „Hamburger Aufstand“ ein Schritt nach vorne. Das gilt, obwohl während der militanten Aktionen auch viel Macker-Scheisse passiert ist; welchen Sinn es etwa haben soll Kleinwagen anzuzünden und Unbeteiligte zu gefährden erschließt sich uns nicht. Hier ist Manöverkritik angesagt. Die bloße Eskalation des sozialen Konfliktes taugt zudem nicht als Ziel einer radikalen Linken, weil es am Ende auf die immer gleiche Zuspitzungsphantasie hinausläuft, die mit ein paar Gewaltbildchen schon ganz zufrieden ist. Wer sich außer dem finalen Zusammenbruch und der Brutalisierung des Konfliktes nichts mehr vorstellen kann, der hat sich im selbsterklärten Außen der Gesellschaft schon zu gut eingerichtet. Am Ende des Tages ist jeder Riot nur so gut, wie die gesellschaftliche Organisierung und deren Verankerung im Alltag, die dahinter aufscheint. Auch das hat Hamburg gezeigt. Aber: Dass der soziale Konflikt, wenn er die Straße erreicht, eben nicht nach dem Lehrbuch aus dem Politikunterricht abläuft, das gilt umso mehr, wenn – wie im Hamburger Schanzenviertel am Freitagabend geschehen – aus politischer Militanz ein soziales Ereignis wird. Das heißt: Wenn die Kids aus dem Viertel gemeinsam mit Aktivist*Innen aus ganz Europa eben jenen Bullen, die beide aufs übelste drangsalieren, mal zeigen, dass das Blatt sich auch – zumindest für ein paar Stunden – wenden kann, wenn der hochgerüstete Sicherheitsstaat mal ein wenig die Kontrolle verliert, dann ist das gut und nicht schlecht. Hoffnung ist tatsächlich immer aus Rebellion entstanden, aber für die gab es vorher nie eine Genehmigung von Oben. Die Frage, wie man „so etwas“ in Zukunft verhindern und den Protest möglichst keimfrei gestalten kann, überlassen wir daher gern den Bürokrat*innen des Bestehenden auf beiden Seiten der Barrikade. Denn verwunderlich ist weniger, dass es knallt, als dass es das gemessen am herrschenden Wahnsinn viel zu selten tut. Und trotz einiger idiotischer Manöver haben die Aktionen in Hamburg unter dem Strich gezeigt, dass es auch die richtigen treffen kann.

Ganz abgesehen davon, dass die Krokodilstränen jener Medien, die sonst bei jeder Gelegenheit über eine angeblich „asoziale Unterschicht“ herziehen und die nun ganz betroffen darüber tun, dass auch das Fahrrad eines Hartz-Empfängers oder das Auto einer Rentnerin in Mitleidenschaft gezogen wurde, offensichtlich ein schlechter Witz sind. Anstatt Kopfnoten für den „richtigen Protest“ zu verteilen, sollte die radikale Linke sich daher lieber Fragen, wenn sie eigentlich erreichen will: Die braven Bürger*Innen bzw. Hilfspolizisten, die es gar nicht abwarten konnten im Blitzlichtgewitter am Sonntag die Mühltonnen wieder aufzustellen, die während der Randale umgeworfen wurden? Oder die Zehntausenden, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise deutlich gemacht haben, dass sie nicht vor dem Gewaltmonopolisten kuschen?

Auch dass einige Spießer*innen in linken Parteien und NGOs sich nun mit Distanzierungen überschlagen sollte niemanden verunsichern. Nicht zu verstehen, dass gerade „Straftaten“ das Protestmittel der Machtlosen sein können, genau dafür werden sie ja bezahlt. Wer von denen, die dicke Gehälter kassieren um in Talkshows zu sitzen, während sich andere ganz unentgeltlich für die Sache verprügeln lassen, „Respekt“ erwartet, der kann lange warten. Auch wenn sie immer davon reden, dass der „soziale Friede“ längst aufgekündigt sei: Sie werden sich nur bewegen, wenn wir so stark sind, dass wir sie dazu zwingen können. Gleiches gilt für die geifernden Reaktionen der Bundespolitiker*Innen, die doch nur zeigen, wie sehr der Radau sie erschreckt hat, in dem sie nun ernsthaft mit Relativierungen des Nationalsozialismus und absurden Terrorismusvorwürfen um sich werfen. Harmlos ist das trotzdem nicht. Denn es zeigt den Rechtsruck einer Gesellschaft an, die beim Anblick eines brennenden Autos in kollektive Hysterie verfällt, es aber ganz locker wegsteckt, tausende Menschen direkt vor ihren Grenzen elendig verrecken zu lassen. Mit diesem Empörungsdiskurs wird außerdem eine innere Aufrüstung flankiert, die mit bewussten Falschmeldungen der Polizei, Denunziationsaufrufen in Boulevardmedien und der Hetze gegen linke Zentren beginnt, aber da nicht enden wird. Forderungen nach Gesetzesverschärfungen und Sonderkommissionen sind schon unterwegs und es wäre wirklich eine Überraschung, wenn die schlechten Verlierer*innen bei Polizei und Geheimdienst nicht noch vor der Bundestagswahl versuchen würden, sich mit einer Welle von Verfahren und Hausdurchsuchungen gegen Linke für ihre Niederlage zu revanchieren. Aber der Weg in den Autoritarismus beginnt nicht mit Randale, sie macht nur deutlich, wie weit sich die bürgerliche Mitte schon von ihren eigenen Regeln und Grundrechten entfernt hat. Ganz sicher ist jedenfalls: Der Rechtsruck wird nicht durch Anpassung an ihn zurückgeschlagen werden.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ob es richtig ist, die Friedhofsruhe im Herzen des europäischen Krisenregimes zu durchbrechen, war für uns schon vor dem Gipfel keine Frage. Dass es möglich ist, haben die G20-Proteste praktisch bewiesen. Klar ist nun zwar auch: Die Zeiten werden härter, die Polarisierung nimmt zu. Aber als Gesellschaftskritiker*Innen wissen wir ja: The only way out is – through.


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Berichte über Präsenz von rechtsextremen Gewalttätern und V-Leuten der Polizei.
Linke wollen Untersuchungsausschuss


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+++ STELLUNGNAHME ZU DEN EREIGNISSEN VOM WOCHENENDE +++

Wir, einige Geschäfts- und Gewerbetreibende des Hamburger Schanzenviertels, sehen uns genötigt, in Anbetracht der Berichterstattung und des öffentlichen Diskurses, unsere Sicht der Ereignisse zu den Ausschreitungen im Zuge des G20-Gipfels zu schildern.
In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 2017 tobte eine Menge für Stunden auf der Straße, plünderte einige Läden, bei vielen anderen gingen die Scheiben zu Bruch, es wurden brennende Barrikaden errichtet und mit der Polizei gerungen.

Uns fällt es in Anbetracht der Wahllosigkeit der Zerstörung schwer, darin die Artikulation einer politischen Überzeugung zu erkennen, noch viel weniger die Idee einer neuen, besseren Welt.
Wir beobachteten das Geschehen leicht verängstigt und skeptisch vor Ort und aus unseren Fenstern in den Straßen unseres Viertels.
Aber die Komplexität der Dynamik, die sich in dieser Nacht hier Bahn gebrochen hat, sehen wir weder in den Medien noch bei der Polizei oder im öffentlichen Diskurs angemessen reflektiert.
Ja, wir haben direkt gesehen, wie Scheiben zerbarsten, Parkautomaten herausgerissen, Bankautomaten zerschlagen, Straßenschilder abgebrochen und das Pflaster aufgerissen wurde.
Wir haben aber auch gesehen, wie viele Tage in Folge völlig unverhältnismäßig bei jeder Kleinigkeit der Wasserwerfer zum Einsatz kam. Wie Menschen von uniformierten und behelmten Beamten ohne Grund geschubst oder auch vom Fahrrad geschlagen wurden.
Tagelang.
Dies darf bei der Berücksichtigung der Ereignisse nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Zum Höhepunkt dieser Auseinandersetzung soll in der Nacht von Freitag und Samstag nun ein „Schwarzer Block“ in unserem Stadtteil gewütet haben.
Dies können wir aus eigener Beobachtung nicht bestätigen, die außerhalb der direkten Konfrontation mit der Polizei nun von der Presse beklagten Schäden sind nur zu einem kleinen Teil auf diese Menschen zurückzuführen.
Der weit größere Teil waren erlebnishungrige Jugendliche sowie Voyeure und Partyvolk, denen wir eher auf dem Schlagermove, beim Fußballspiel oder Bushido-Konzert über den Weg laufen würden als auf einer linksradikalen Demo.
Es waren betrunkene junge Männer, die wir auf dem Baugerüst sahen, die mit Flaschen warfen – hierbei von einem geplanten „Hinterhalt“ und Bedrohung für Leib und Leben der Beamten zu sprechen, ist für uns nicht nachvollziehbar.
Überwiegend diese Leute waren es auch, die – nachdem die Scheiben eingeschlagen waren – in die Geschäfte einstiegen und beladen mit Diebesgut das Weite suchten.
Die besoffen in einem Akt sportlicher Selbstüberschätzung mit nacktem Oberkörper aus 50 Metern Entfernung Flaschen auf Wasserwerfer warfen, die zwischen anderen Menschen herniedergingen, während Herumstehende mit Bier in der Hand sie anfeuerten und Handyvideos machten.
Es war eher die Mischung aus Wut auf die Polizei, Enthemmung durch Alkohol, der Frust über die eigene Existenz und die Gier nach Spektakel – durch alle anwesenden Personengruppen hindurch –, die sich hier Bahn brach.
Das war kein linker Protest gegen den G20-Gipfel. Hier von linken AktivistInnen zu sprechen wäre verkürzt und falsch.

Wir haben neben all der Gewalt und Zerstörung gestern viele Situationen gesehen, in denen offenbar gut organisierte, schwarz gekleidete Vermummte teilweise gemeinsam mit Anwohnern eingeschritten sind, um andere davon abzuhalten, kleine, inhabergeführte Läden anzugehen. Die anderen Vermummten die Eisenstangen aus der Hand nahmen, die Nachbarn halfen, ihre Fahrräder in Sicherheit zu bringen und sinnlosen Flaschenbewurf entschieden unterbanden. Die auch ein Feuer löschten, als im verwüsteten und geplünderten „Flying Tiger Copenhagen“ Jugendliche versuchten, mit Leuchtspurmunition einen Brand zu legen, obwohl das Haus bewohnt ist.
Es liegt nicht an uns zu bestimmen, was hier falsch gelaufen ist, welche Aktion zu welcher Reaktion geführt hat.
Was wir aber sagen können: Wir leben und arbeiten hier, bekommen seit vielen Wochen mit, wie das „Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ ein Klima der Ohnmacht, Angst und daraus resultierender Wut erzeugt.
Dass diese nachvollziehbare Wut sich am Wochenende nun wahllos, blind und stumpf auf diese Art und Weise artikulierte, bedauern wir sehr. Es lässt uns auch heute noch vollkommen erschüttert zurück.
Dennoch sehen wir den Ursprung dieser Wut in der verfehlten Politik des Rot-Grünen Senats, der sich nach Außen im Blitzlichtgewitter der internationalen Presse sonnen möchte, nach Innen aber vollkommen weggetaucht ist und einer hochmilitarisierten Polizei das komplette Management dieses Großereignisses auf allen Ebenen überlassen hat.
Dieser Senat hat der Polizei eine „Carte Blanche“ ausgestellt – aber dass die im Rahmen eines solchen Gipfels mitten in einer Millionenstadt entstehenden Probleme, Fragen und sozialen Implikationen nicht nur mit polizeitaktischen und repressiven Mitteln beantwortet werden können, scheint im besoffenen Taumel der quasi monarchischen Inszenierung von Macht und Glamour vollkommen unter den Tisch gefallen zu sein.
Dass einem dies um die Ohren fliegen muss, wäre mit einem Mindestmaß an politischem Weitblick absehbar gewesen.
Wenn Olaf Scholz jetzt von einer inakzeptablen „Verrohung“, der wir „uns alle entgegenstellen müssen“, spricht, können wir dem nur beizupflichten.
Dass die Verrohung aber auch die Konsequenz einer Gesellschaft ist, in der jeglicher abweichende politische Ausdruck pauschal kriminalisiert und mit Sondergesetzen und militarisierten Einheiten polizeilich bekämpft wird, darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben.

Aber bei all der Erschütterung über die Ereignisse vom Wochenende muss auch gesagt werden:
Es sind zwar apokalyptische, dunkle, rußgeschwärzte Bilder aus unserem Viertel, die um die Welt gingen.
Von der Realität eines Bürgerkriegs waren wir aber weit entfernt.
Anstatt weiter an der Hysterieschraube zu drehen sollte jetzt Besonnenheit und Reflexion Einzug in die Diskussion halten.
Die Straße steht immer noch, ab Montag öffneten die meisten Geschäfte ganz regulär, der Schaden an Personen hält sich in Grenzen.
Wir hatten als Anwohner mehr Angst vor den mit Maschinengewehren auf unsere Nachbarn zielenden bewaffneten Spezialeinheiten als vor den alkoholisierten Halbstarken, die sich gestern hier ausgetobt haben.
Die sind dumm, lästig und schlagen hier Scheiben ein, erschießen dich aber im Zweifelsfall nicht.

Der für die Meisten von uns Gewerbetreibende weit größere Schaden entsteht durch die Landflucht unserer Kunden, die keine Lust auf die vielen Eingriffe und Einschränkungen durch den Gipfel hatten – durch die Lieferanten, die uns seit vergangenem Dienstag nicht mehr beliefern konnten, durch das Ausbleiben unserer Gäste.
An den damit einhergehenden Umsatzeinbußen werden wir noch sehr lange zu knapsen haben.

Wir leben seit vielen Jahren in friedlicher, oft auch freundschaftlich-solidarischer Nachbarschaft mit allen Formen des Protestes, die hier im Viertel beheimatet sind, wozu für uns selbstverständlich und nicht-verhandelbar auch die Rote Flora gehört.
Daran wird auch dieses Wochenende rein gar nichts ändern.

In dem Wissen, dass dieses überflüssige Spektakel nun vorbei ist, hoffen wir, dass die Polizei ein maßvolles Verhältnis zur Demokratie und den in ihr lebenden Menschen findet, dass wir alle nach Wochen und Monaten der Hysterie und der Einschränkungen zur Ruhe kommen und unseren Alltag mit all den großen und kleinen Widersprüchen wieder gemeinsam angehen können.

Einige Geschäftstreibende aus dem Schanzenviertel

BISTRO CARMAGNOLE
CANTINA POPULAR
DIE DRUCKEREI - SPIELZEUGLADEN SCHANZENVIERTEL
ZARDOZ SCHALLPLATTEN
EIS SCHMIDT
JIM BURRITO'S
TIP TOP KIOSK
JEWELBERRY
SPIELPLATZ BASCHU e.V.
MONO CONCEPT STORE
BLUME 1000 & EINE ART
JUNGBLUTH PIERCING & TATTOO
SCHMITT FOXY FOOD


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Autoritäre Sehnsüchte
Den Politikern, die die Schließung der Roten Flora fordern,
geht es nicht um Fakten oder Aufklärung.

Ein Kommentar von Martín Steinhagen in der FR, 11.07.2017

Noch ist längst nicht aufgearbeitet, was sich Freitagnacht im Hamburger Schanzenviertel zutrug, wer mit wem Barrikaden anzündete und welche Strategie die Polizei verfolgte. Politikern, die jetzt die „gewaltsame Räumung“ der Roten Flora fordern, ist das aber egal – um Fakten und Aufklärung geht es ihnen nicht.

Mit Subkultur schmückt sich Politik gern, wenn sie der Aufwertung von Stadtteilen dient. Aber im Moment will man eben Härte zeigen. Dabei geben sich Vertreter des besetzten Zentrums bei der Aufarbeitung längst selbstkritischer als der Hamburger Senat, gehen inzwischen deutlich auf Distanz zu den Ausschreitungen. Flora-Aktivisten haben aber auch in der Vergangenheit schon zur Deeskalation der einst rituellen Schanzenfest-Krawalle beigetragen.
Räumung der Roten Flora wäre falsch

Eine Räumung der Roten Flora würde vor allem eines – einen massiven Konflikt neu entfachen. Schon die Forderung ist aber mit einem modernen Verständnis von Rechtsstaat nicht vereinbar, der Vergeltung und Sippenhaftung ja überwinden will. Sie offenbart dabei auch: Viele können sich wohl nicht vorstellen, dass eine alles andere als homogene Szene gar keine zentrale Kommandostelle hat, von der aus Befehle erteilt werden.

Man könnte stattdessen etwa darüber sprechen, wieso sich offenbar auch etliche Jugendliche, die mit Autonomen nichts zu tun haben, an der Gewalt beteiligten. Aber der Aktionismus der letzten Tage zeigt: Nach dem Kontrollverlust will so mancher keine Fragen stellen, sondern autoritäre Sehnsüchte bedienen.


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Ein Gastbeitrag über die kollektive Erfahrung von Zehntausenden in Hamburg

Von Emily Laquer, 26.07.2017

Wir haben in Hamburg das Schöne und Schreckliche, das Ermutigende, Intensive und auch Traumatische erlebt. Als wir nach Hause kamen, wurden wir mit der Realität derer konfrontiert, die Hamburg nur am Fernseher mitverfolgt hatten. Uns schlug Unverständnis und Hass entgegen. Wir sollten uns rechtfertigen, für jedes brennende Auto, jeden geplünderten Laden, jeden angeblich oder tatsächlich verletzten Polizisten. In Familien, Schulen und Betrieben wurden wir mit der ultimativen Forderung konfrontiert, uns zu distanzieren. Die AfD-Trolle und Law-and-Order-Fanatiker überschwemmten die sozialen Medien mit ihrem Hass und ihrer Verachtung für alle, die den Kapitalismus nicht für das letzte Wort der Geschichte halten. Je weniger Kenntnis von den tatsächlichen Vorgängen in Hamburg, desto lauter.

Der Kampf um die Deutungshoheit der Ereignisse in Hamburg ist ein Versuch, uns unsere Erfahrungen auszureden. Er ist ein Angriff auf unsere Erinnerung, der uns an unser Wahrheit zweifeln lässt. Schwer auszuhalten, wenn wir nicht andere haben, die mit uns in Hamburg waren, die uns bestätigen können, dass nicht wir es sind, die verrückt sind.

Gegen den Zweifel, lasst uns vertrauen: Die kollektive Erfahrung von Zehntausenden, die wir waren, kann man nicht löschen. Wir haben eine Stadt im Ausnahmezustand erlebt. Überall Polizei in Kampfmontur, gepanzert, vermummt, gesichtslos, wie eine Armee imperialer Sturmtruppen. Die riesigen Wasserwerfer, unwirkliche, bedrohliche Maschinen zur Aufstandsbekämpfung. Wir haben Gewalt erlebt, sind geschlagen und getreten worden, hatten Pfefferspray in den Augen. Manchen wurden die Knochen gebrochen. Die meisten von uns sind wieder aufgestanden und haben neue Demonstrationen und Blockaden gebildet. Unser kollektiver Mut hat die Ohnmacht besiegt.

Gegen eine Polizei, die unsere Camps in offener Missachtung der Gerichte umstellte, haben wir unser Recht zu schlafen durchgesetzt. Wir haben Solidarität erfahren. Die Kirchen ließen uns auf ihren Wiesen schlafen, das Stadion, das Schauspielhaus. Hunderte rührende Angebote gingen auf der Bettenbörse ein. Nachbarn haben Beifall geklatscht, als Tausende Donald Trump blockierten, haben Kaffee gebracht, sich um Verletzte gekümmert und Zuflucht vor der Polizei geboten.

Am Ende sollten wir die größte Demonstration Hamburgs in 30 Jahren auf die Straße bringen, und das trotz Schikanen der Versammlungsbehörde, Diffamierung durch den Verfassungsschutz, Verbote der Innenbehörde. Ja, wir weigerten uns, die Demoverbotszone zu akzeptieren. Kein Kilometer, wo die Menschen nicht demonstrierten.

In der Bewertung des Riots von Freitagnacht sind wir unter uns nicht einig, viele von uns sind es mit sich selbst nicht. In uns wohnt beides: Wir staunen über die kollektive Zurückweisung einer Polizei und Innenpolitik, die seit Monaten auf Krawall gebürstet war. Freitagnacht wurde das unversöhnliche Nein greifbar, die dissidente Lust, die wir doch auch alle irgendwie spüren. Hamburg wird für mich immer der Ort sein, an dem die Polizei rückwärts läuft.

Und doch: Die Anwohner_innen, die Angst hatten, dass das Feuer der Barrikaden auf ihre Wohnungen übergreifen würde, gehören sie nicht zu uns? Die Menschen, die sich selbst angegriffen fühlten, anstelle des Gipfels? Die Mackrigkeit, die Zerstörungen inmitten eines solidarischen Stadtteils, die Gefährdung Unbeteiligter - all das hat mit einem Aufstand der Hoffnung wenig zu tun.

Diese Widersprüchlichkeit ist in der Welt und in uns. Sie verbietet die Distanzierung, weil man sie damit leugnen würde. Wir werden reden und zuhören müssen. Alle, die jetzt einfache Antworten wissen, werden diesen Widersprüchen nicht gerecht.

Der Gipfel ist vorbei, der Wahnsinn der Welt herrscht noch immer. Wir vergessen nicht, warum wir nach Hamburg kamen: Weil der Kapitalismus uns in seiner Hoffnungslosigkeit zu erschlagen versucht. Gegen die G20 und ihre Kriege, ihre Klimazerstörung, ihre (Kollaboration mit) diktatorischen Regimes, ihre Klimazerstörung. Gegen das Sterben im Mittelmeer, den Hunger auf der Welt, den Ausbau autoritärer Staaten, auch in Hamburg. Man brauchte sich die Belagerung der Stadt ja nur ansehen, um zu wissen, was Wahnsinn ist.

Der Gipfel hat nichts, gar nichts zur Lösung der Probleme der Welt beigetragen. Er war sinnlos und teuer, mehr noch: er war ein innenpolitisches Desaster. Das Diskreditieren unseres Neins und der Angriff auf die Rote Flora sind ein Ablenkmanöver. Schon jetzt werden die Lügen des Olaf Scholz, es hätte keine Polizeigewalt gegeben, aufgedeckt. Was bleibt: In Hamburg waren Zehntausende Katniss Everdeens, um ihre drei Finger gegen das Kapitol zu heben. Wir haben im Wahnsinn der Welt das richtige getan.

In vielen Städten finden jetzt Auswertungstreffen statt. Geht dort hin. Verarbeitet eure Erlebnisse nicht alleine. Vergesst die Gefangenen nicht. Schließt euch zusammen gegen den Wahnsinn der Welt. Hamburg kann überall sein, weil wir überall sind. Wir sehen uns wieder: auf der Straße.

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers: Die Debatte über die G20-Randale



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