Winter im Wohlstandseuropa Teil 1

Freitag, 8. Januar 2010 um 18:53 - futziwolf
Kohlenklau im Armenschacht
Wałbrzych, Waldenburg, Niederschlesien. Die Armenhauptstadt Polens. Der Schnee verbirgt, wie es hier wirklich ist: bedeutungslos, trostlos, tot.
Aber Trostlosigkeit macht nicht satt. Und die Kohle ist ja noch da, das wahre Leben dieser Stadt liegt unter der Erde. Sie graben illegal, um die Kohle schwarz zu verkaufen – unter Lebensgefahr. Das sind die Armenschächte von Waldenburg. Wir haben einen ersten Kontakt zu einer illegalen Förderbrigade. „Es gibt hier keine andere Arbeit für uns. Und wie sollen wir ohne Geld leben? Der Mensch lebt nicht von Luft. Den Magen kann man nicht verarschen.“

Mitten im Wald haben wir die vier gefunden. Sie schürfen am hellichten Tag, die meisten trauen sich das nicht, wegen der Polizei, die sie erwischen könnte. Hier im Wald fühlen sie sich getarnt und sicher. 16 Säcke Kohle hat jemand schwarz bestellt, das sind 12 Stunden Arbeit im Minibergwerk. Nach zwei Stunden bei minus 17 Grad die erste Pause. Wir folgen dem Gespräch am Lagerfeuer.

„Sie zeigen diese Bilder doch nicht im polnischen Fernsehen? Ich will nicht, dass wir ins Gefängnis kommen.“, vergewissert sich Krzysztof. „Schürfen ist nämlich illegal“, sagt Grzegorz. „Ich habe zwei Jahre Haft dafür bekommen.“

Daniel wirft ein: „Unser Bürgermeister tut nichts, die Polizei nimmt uns die Spitzhacken weg. Ich muss vorsichtig sein, ich habe Bewährung. Wie kann es illegal sein, wenn diese Kohle zwei Stadtteile beheizt? Ich kann nichts außer Kohle abbauen. Soll ich stehlen gehen? Oder eine Oma überfallen? Dafür bekäme ich 15 Jahre.“

„Und fürs Kohleklauen kriegst du nur zwei“, sagt sein Kumpel – und alle lachen. Adam fügt noch hinzu: „Waldenburg ist eine tote Stadt. Hier eine Arbeit zu finden ist so wahrscheinlich wie das ich beim Graben auf Gold stoßen würde.“

Sie zeigen uns diese Amateuraufnahmen von unter Tage. Alles ist nur behelfsmäßig abgestützt, kann jederzeit einbrechen. Krzysztof hatte vor zwei Jahren einen schweren Unfall, an dem er noch heute leidet.

„Ein Erdrutsch schüttete mich zu. Ich hatte vier Rippen gebrochen, meine Wirbelsäule musste mit vier Schrauben fixiert werden, und auf einem Ohr bin ich seitdem taub. Und dann wollten sie 50 Euro Behandlungsgebühr im Krankenhaus von mir. Woher sollte ich die denn nehmen?“

Am Nachmittag nimmt uns die Polizei mit auf eine Razzia. Das macht sie wöchentlich zu wechselnden Zeiten, erfahren wir. Ab und zu erwischt sie auch einen, der kriegt dann ein Bußgeld und im Wiederholungsfall droht ihm Sozialarbeit oder Haft. Nachts, wenn alle graben, ist die Polizei nicht unterwegs. Zu gefährlich für die Beamten.

Tomasz Ludkiewicz, Polizist
„Niemand da im Moment, die kommen nachts. Aber das ist für die Polizei schwierig. Ein falscher Schritt, und es passiert ein Unfall. Das ist zu gefährlich, deshalb machen wir es eigentlich nie. Wir erwischen so natürlich nur selten einen der Illegalen. Wir versuchen, ihnen tagsüber Angst einzujagen, damit sie nicht wiederkommen. vielleicht bringt das was.“

Klingt ein bisschen wie in Schilda. Vor unserer Kamera strengt sich die Polizei besonders an, aber die meisten laufen weg. Aber schließlich fängt sie einen. Mitkommen zur Personenkontrolle.

In der nächsten Nacht versuchen wir unser Glück. Es ist einfach, überall wird gegraben. Willkommen sind wir nicht, aber niemand vertreibt uns. Nur, bitte, keine Namen ... Eine Gruppe fragt, ob wir den Mut haben, mit in den Schacht zu kriechen. Wir versuchen es. Der Gang ist 60 cm hoch, 80 cm breit, die Kamera passt gerade hinein. Rutschiger Lehm, Zick-Zack, 25 % Gefälle, wir sind neun Meter unter der Erde. Uns bricht der Schweiß aus, es ist heiß im Berg. In den nächsten zwei Stunden beachtet uns niemand mehr. Es wird Kohle gefördert. Für einen Zentner brauchen sie eine Dreiviertelstunde und bekommen später vier Euro.

„Ein Risiko gibt es immer. Ich bin nicht sicher, ob ich hier wieder rauskomme, aber für ein Stück Brot muss man arbeiten. Ich kann meine Kinder nicht für 20 Jahre in den Winterschlaf versetzen, weil es uns in Polen dann besser gehen soll. Angst habe ich keine. Schlimm ist nur die Polizei. Mich haben sie 25mal erwischt und verknackt, ich mache trotzdem weiter. Früher haben sie uns, wenn sie uns erwischten, an den Haaren aus den Schächten gezogen. Manchmal warf die Polizei Tränengas in den Schacht, dabei ist das eigentlich verboten.“

„Also ich gebe es zu, ich hab Angst. Ich war mal dabei, als die Erde runterkam, da hat es einen Freund erwischt. Es war furchtbar: Ich hab zugeguckt, wie er starb.“

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