"Wo es schmerzt, da greift man hin" (36)

Dienstag, 7. August 2012 um 00:53 - monsignore genickschuss
Eine gute und eine schlechte Nachricht
von Genosse Monsignore Genickschuss


Die gute Nachricht
ist, dass es in Deutschland inzwischen offenbar in Einzelfällen möglich ist, aufgrund von Kontakten zur rechtsextremen Szene aus dem Polizeidienst gebeten zu werden. Da bin ich fast geneigt Anreden wie „Zecke“ und „linke Sau“ mal für den Moment zu vergessen. Schließlich habe ich mich in meiner ausgedehnten Jugend tatsächlich sehr merkwürdig gekleidet und da ich mich zudem auch noch des Öfteren mit anderen verwegen kostümierten Gestalten getroffen habe – Auf offener Straße und außerhalb der Karnevalssaison! - , wäre ich es, wie ein Verwandter einst formulierte, ohnehin „selbst Schuld“ gewesen, wenn sie mich „eines Tages kaputt“ geschlagen hätten. Schwamm drüber... Das war's dann aber auch schon.

Die schlechte Nachricht ist: Ansonsten alles beim Alten. Die junge Ruderin aus jenem deutschen Staat, der 1990 einer „Markterweiterung“ (Günter Grass) zum Opfer fiel, wurde übrigens gar nicht zur Heimreise gezwungen, nein, sie ist um Schaden vom Team... Ich bitte um Entschuldigung: um Schaden von der Mannschaft abzuwenden, freiwillig nach Hause gefahren. So viel Opferbereitschaft aber muss honoriert werden. Und so machten sich u.a. ein GRÜNER und ein Journalist der ZEIT bereits Gedanken über den Begriff der Sippenhaft und ob man diesen nicht hier zur Anwendung bringen müsse. Und weil das Fräulein Drygalla, über dessen Gespür für den rechten Umgang man vielleicht streiten kann, sich inzwischen öffentlich von den braunen Kameraden und der braunen Gesinnung ihres braunen Freundes distanziert hat, ist unser Verteidigungsminister, unter dessen Aufsicht Deutschlands Freiheit derzeit am Hindukusch und am Horn von Afrika verteidigt wird, durchaus gewillt ihm, also dem Fräulein, seinen breiten Rücken zu stärken.
"Wo sind eigentlich Grenzen? Steht es uns als Öffentlichkeit eigentlich wirklich zu, den Freundeskreis von Sportlerinnen und Sportlern zu screenen, zu gucken, was da los ist? Müssen wir von Sportlerinnen und Sportlern verlangen, dass sie offenbaren, mit wem sie befreundet sind, was die denken? Wo ist da die Grenze? Ich glaube, die ist hier schon überschritten worden.", zitiert DIE ZEIT den Herrn de Maizière.
[Update: Mecklenburg-Vorpommerns Innen- und Sportminister Lorenz Caffier (CDU) ist auch gegen Gesinnungsschnüffelei, jedenfalls wenn es um Nazis geht. Anmerk. des Setzers.]
„Genau!“, denke ich. „Und Sport ist Sport und Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps und Auschwitz ist Auschwitz...“ Und irgendwann muss auch mal Schluss sein!
Äh, womit jetzt? ...
Mit dieser widerlichen Ausdehnung einer lieb gewonnenen Redensart, mit der besonderen Aufmerksamkeit die prominenten deutschen Menschen zu Teil wird, wenn sie mit Nazis rumhängen, mit der Politik oder gar mit der Macht der Medien? Wie verantwortungsvoll diese zum Teil mit der, in der Tat nicht ganz einfachen, Situation umgehen, haben heute erneut GMX und die BILD bewiesen. Während Letztere wohl „nur“ der armen Ruderin ein Forum gegeben hat, konnte ich vorhin beim Abrufen meiner mails lesen: „Jetzt spricht Drygallas Freund“.
„Na Gott sei Dank!“, rutschte es mir da gleich heraus, „Nazi-Macker kommen in diesem HERRlichen Lande ja grundsätzlich viel zu selten zu Wort.“ Aber, welch eine Überraschung, der Herr Fischer bekräftigt hier etwas, das seine Holde schon am Sonntag behauptet hat, nämlich seinen Ausstieg aus der rechten Szene und sogleich will der vom eigenen Opfermythos stets am meisten gerührte Volksdeutsche sowas wie „Sehta, hat man uns wieder mal zu Unrecht usw.“ grunzen.
Die von Fischer gewählten Formulierungen allerdings könnten stutzig machen. GMX gibt ihn so wieder: Die Folgen seiner Taten in der rechten Szene habe er für sich bewusst in Kauf genommen, erklärte Fischer. „Daher würde ich nicht sagen, dass ich das bereue. Aber ich habe insbesondere Nadja nie einen Gefallen getan, insofern wäre es besser gewesen, wenn ich es nie gemacht hätte.“

Nun, möglicherweise sehe ich das ja wieder alles viel zu eng, bloß was ich hier heraus lese ist: „Der Ärger, den ich mir selbst eingehandelt habe war schon okay und ich bereue eigentlich nur, dass ich meiner Freudin so viele Schwierigkeiten gemacht habe. Sonst aber nix.“ Eine glaubwürdige Distanzierung von der menschenverachtenden, rassistischen Ideologie der NPD müsste anders aussehen, oder?
Freilich wäre eine solche auch sehr bemerkenswert, ja sogar außerordentlich erstaunlich gewesen. Noch Mitte Juni 2012 schrieb der NPD-Landtagskandidat vom Vorjahr auf dem rechtsextremen Nachrichtenportal Mupinfo unbeirrt gegen "linke Ausländerlobby", "Asylbetrüger" und "Linksextremisten" an und so wurde Fischer offenbar auch Anfang August von seinen Kameraden noch als braver Nationalist betrachtet, NPD-Austritt hin oder her. Noch sympathischer lassen ihn die folgenden Zeilen aus der ZEIT erscheinen:
Eine größere Bekanntheit erlangte der 24-Jährige im Februar 2012. Am Rande einer Gedenkveranstaltung für den von den von den NSU-Terroristen ermordeten Mehmet Turgut posierte der NPD-Landtagskandidat von 2011 grölend inmitten eines Mobs schwarz vermummter Neonazis, die versuchten, die Teilnehmer anzugreifen. Ein Polizist wurde durch eine geworfene Eisenstange verletzt. Mit seiner Kamera machte Fischer Aufnahmen von der Gedenkfeier. Bilder aus genau seiner Perspektive tauchten danach auf einer sogenannten Anti-Antifa-Webseite auf.

Das ganze ist gerade einmal ein halbes Jahr her.
Offenkundig hatten wir es hier noch zu Beginn dieses Jahres keineswegs bloß mit einem „ganz normalen“, (klein)bürgerlichen Rassisten-Arsch zu tun, der keine Moschee (und am Liebsten überhaupt keine „Türken“) in „seinem“ Viertel bzw. Land will, sondern tatsächlich mit einem gut organisierten Neonazi, der auch Terror und Mord als Mittel des politischen Kampfes billigt (was jedoch in den entsprechenden Kreisen, dies soll nicht unerwähnt bleiben, natürlich keineswegs unüblich ist). Und von all dem sagt der Herr Fischer nichts als er vom Bereuen redet. Mmh...
Und mit so einem ist die arme Ruderin liiert. Wegen dieses Typen geht sie freiwillig aus dem Polizeidienst. Und während dieser stramme Deutsche offenkundig einen großen Teil seines Lebens der nationalsozialistischen Sache gewidmet hat, hatte sie zu seinem Umfeld keinerlei Kontakt und stand selbst auf dem Boden des Grundgesetzes, d. h. empfand Achtung vor der Würde eines jeden Menschen und schätzte die Demokratie. Nochmal mmhhhhhhh...
Und jetzt wieder unser international aktiver Minister der nationalen Verteidigung, wie ihn DIE ZEIT wiedergibt:
De Maizière schloss nicht aus, dass die Bundeswehr die 23-jährige Rostockerin in ihre Sportförderung aufnehmen könnte. Derzeit gebe es von ihr keinen Antrag. Wenn es ihn gäbe, würde er "in Ruhe und nicht in der Atmosphäre der letzten Tage" geprüft. "In der Sache selbst möchte ich teilen, was sie gesagt hat, dass erst einmal Ruhe in die Sache kommt", sagte de Maizière.

Also nochmal: Genau! Einfach wieder ein bisschen deutsches Gras drüber wachsen lassen. Det jedeiht uf Massengräbern wie uf unliebsamen Tatsachen janz prima, hab ick jehört. Aaaaargh!
Wie wär's denn mal damit: Jeder Mensch, der dieses Land (so lange es existiert) repräsentiert, gleich ob als Politiker, Häkelweltmeister oder Ruderin, sollte sich doch zumindest glaubhaft zu den Werten des Grundgesetzes bekennen können. Aber „glaubhaft“ sieht in Anbetracht der Faktenlage zunächst mal leider anders aus. Und was der Freund vom Fräulein Drygalla sich da mindestens bis in die jüngste Vergangenheit hinein so gedacht hat und was möglicherweise im Grunde auch das Fräulein selbst denkt (oder wenigstens nicht schlimm genug findet mit ihm zu brechen), ist auch nicht irgendeine Meinung.
Es ist, um hier mal eine alte, aber sehr treffende Parole zu bemühen, ein Verbrechen! Es ist die geistige Vorbereitung auf und für den Massenmord!

Also: Kein Mitleid mit Rassisten und ihren Freunden ! Kein Sex mit Nazis !
Und jetzt TOCOTRONIC mit einer sehr hübschen Cover-Version eines SPECIALS-Klassikers:


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