"Wo es schmerzt, da greift man hin" (39)

Dienstag, 25. September 2012 um 12:50 - monsignore genickschuss
TIL SCHWEIGERS HELDEN UND TUCHOLSKYS MÖRDER
1924, sechs Jahre nachdem das bis dahin größte und best organisierte Morden der Menschheitsgeschichte endlich zu Ende gegangen war, schrieb Kurt Tucholsky als Ignaz Wrobel den kurzen Text „Vor Verdun“ und schilderte darin Grauen und Elend des Krieges so eindringlich, dass mir, wenn ich ihn nun wieder zur Hand nehme, noch immer zum Heulen und zum Kotzen ist. Und er benannte die Interessen, die hinter diesem Krieg standen, seine Profiteure, die großen Schuldigen, aber auch die kleinen:
„Und die Eltern? Dafür Söhne aufgezogen, Bettchen gedeckt, den Zeigefinger zum Lesen geführt, Erben eingesetzt? Man müsste glauben, sie sprächen: Weil ihr uns das einzige genommen habt, was wir hatten, den Sohn - dafür Vergeltung! Den Sohn, die Söhne haben sie ziemlich leicht hergegeben. Steuern zahlen sie weniger gern. Denn das Entartetste auf der Welt ist eine Mutter, die darauf noch stolz ist, das, was ihr Schoß einmal geboren, im Schlamm und Kot umsinken zu sehen. Bild und Orden unter Glas und Rahmen - `mein Arthur!' Und wenns morgen wieder angeht?“

Am Ende schüttelt sich eine Welt in Entsetzen vor der Stimme eines übergroßen Offiziers, die kräht „Nochmal! Nochmal! Nochmal!“ Aber die Warnung war leider zugleich Prophezeiung und 15 Jahre später folgte ein noch größeres, noch besser organisiertes Schlachten und niemand konnte diesmal noch eine ernst gemeinte Schuldfrage stellen. Es waren ja deutsche Stiefel die los marschierten, um alles was die Menschheit in den vergangenen Jahrtausenden an guten Ideen zu Stande gebracht hatte, unter einem tausendjährigen Reich zu begraben. Demokratie, Nächstenliebe, Aufklärung, Kants Traum von der Weltrepublik, all das sollte zertreten und zerschossen werden oder in den Lageröfen mit verbrennen. Technisierte Barbaren ließen zwischen Lampenschirmen aus Menschenhaut, Gaskammern und Zwillingsexperimenten die Zivilisation als Perversion erscheinen und wurden dabei zugleich zu einem so traurigen wie unüberwindlichen Argument gegen einen radikalen Pazifismus. Wie sollte man denn keine Hochachtung vor all jenen empfinden, die ihr Leben riskierten und oft auch gaben, im Kampf gegen den Faschismus, sich dem Grauen aussetzten, um es zu beenden, gleich ob als amerikanischer, russischer, britischer Soldat, Resistance-Kämpferin, Edelweißpirat, griechischer oder serbischer Partisan?

Doch war auch dieser nicht der letzte Krieg und es waren Soldaten und Polizisten der wiederauferstandenen französischen Republik, die bald darauf Algerier massakrierten, 1961 sogar mitten in Paris, und amerikanische Piloten, die schon 1945 die japanischen Großstädte Hiroshima und Nagasaki in Massengräber, Menschen in Asche verwandelt hatten, verbrannten zwanzig Jahre später vietnamesische Dörfer. Die Rüstungsfirmen, die all die Waffen und Bomben für den Sieg über Nazi-Deutschland produziert und an ihre Regierungen verkauft hatten, verdienten dabei weiterhin hervorragend und es spielte gar keine Rolle wer geschlachtet wurde, so lange das Morden nur nicht aufhörte.

Es ist eben nicht so einfach mit der Hochachtung, man muss differenzieren, wird mancher nun einwerfen wollen. Die Frage ist allerdings: Wonach? Je nach Krieg? Genügt das schon? Oder müsste man nicht eigentlich noch viel näher rangehen, viel genauer hinschauen? Und welche Brutalität, welche kleine oder große Grausamkeit ist man denn gewillt zu übersehen, im Namen der Menschlichkeit? Und worüber darf man sich eigentlich ein Urteil erlauben als jemand, der selbst doch nie eine Waffe in die Hand nehmen musste? Ich glaube noch immer, dass Töten Schuld bedeutet, niemals uneingeschränkt gut sein kann, aber dieses 3. Reich nicht zu zerschlagen, das wäre die größere Schuld gewesen. Erich Fried hat mal geschrieben: „Die Gewalt kann man vielleicht nie mit Gewalt überwinden, aber auch nicht immer ohne Gewalt.“ Ähnlich hilflos achte ich weiterhin jene alliierten Soldaten und Widerstandskämpfer, die mit den besten Absichten in diesen Krieg zogen oder sich schlicht ihrer Haut wehrten und darüber selbst nicht zu Unmenschen wurden. Für die anderen - das Nazi-Pack ausgenommen- bleibt das Mitleid, welches schon Tucholsky für die Toten und Verstümmelten des 1. Weltkriegs empfunden hat. Und weiter geht’s...

1955, Schoa und 2. Weltkrieg lagen gerade zehn Jahre zurück, halfen alte Wehrmachtsgeneräle Deutschland wieder kampffähig zu machen und weder Franz Josef Strauß noch irgendeinem Ausbilder der neu gegründeten Bundeswehr faulte deswegen die rechte Hand ab. „Das Reich des Bösen“ im Osten hatte Angelsachen, Angelsachen-Abkömmlinge und Germanen endlich zusammen finden lassen, so dass zumindest dieser alte Traum des verstorbenen GröFaZ noch Wirklichkeit werden konnte, mehr oder weniger jedenfalls. Wieder richtig Krieg führen wäre aber erstmal nur drin gewesen, wenn die Russen tatsächlich gekommen wären. Ein Gefallen, den uns diese finsteren Gesellen von hinter dem eisernen Vorhang um's Verrecken nicht tun wollten. Selbst provokative Flüge von amerikanischen Bombern und Raketen über sowjetisches Territorium wurden meist geflissentlich ignoriert. So brauchte es noch weitere 36 Jahre, eine Markterweiterung und einen zwei-plus-Vier-Vertrag, ehe die Truppen der nun hübsch aufgeblähten BRD wieder ins Ausland geschickt werden konnten, um anderen „Völkern“ beim Genesen zu helfen. „Wozu sind die Füße da? Zum Marschieren...“

Der erste Einsatz fand im Rahmen der „Operation Desert Storm“ statt, die Präsident Bush (I.) und seine Verbündeten durchführen mussten, um die kuwaitische Demokratie zu verteidigen... Bitte? Kuwait war und ist gar keine Demokratie? Oh.. Äh, warum dann nochmal der zweite Golfkrieg? Ah, ja... …, die sie durchführen mussten, weil irakische Soldaten kuwaitische Frühchen aus Brutkästen gerissen und auf dem harten Krankenhausboden zerschmettert hatten... Nein? Auch nicht? Die kuwaitische Krankenschwester war eine bezahlte Schauspielerin? Oh... Kennt jemand den Film „Wag the dog“? Egal, oder?

Danach, hier und da, ein bisschen humanitär, mal nen Arzt verlieren, in Kambodscha oder weißkaumwo, mit blauen Helmen auf'm Kopp, und einfach auf die nächste Gelegenheit warten. Die kam als Rudolf Scharping weinte (und später planschte), Claudia Roth auf Rio Reisers Leichnam spuckte und Joschka Fischer, diese antifaschistische Rampensau, sich als Märtyrer des gerechten Krieges einen Farbbeutel fing. Ein Massengrab voll mit Zivilisten, die eigentlich rechtsradikale UCK-Terroristen waren, ein Hufeisenplan erfunden vom bulgarischen Geheimdienst oder sonst wem, und schon mussten jene serbischen Partisanen, die es bis ins Greisenalter geschafft hatten, wieder vor deutschen Bomben in Deckung gehen. Kennt Ihr jetzt „Wag the dog“ oder nicht? Recht oder Unrecht, Lüge oder Wahrheit, hin oder her... Jedenfalls ist Deutschland seitdem endlich wieder ein vollwertiges Mitglied dieser Weltgemeinschaft kriegführender Mächte und kann Auschwitz nun global mit militärischen Mitteln verhindern helfen. Zum Beispiel bei der Verfolgung somalischer Piraten, die zwar keine Konzentrationslager bauen, aber unsere (selbstverständlich legitimen) Wirtschaftsinteressen gefährden, was mancher hierzulande inzwischen als mindestens genauso schlimm empfinden dürfte. Außerdem sichern wir in Afghanistan einen Frieden, den nur besonders böswillige Linksfaschisten gelegentlich gern mit einem endlosen Kriegszustand verwechseln wollen. Von der Freiheit ganz zu schweigen.

Wobei die Afghanen die Nummer mit der freien Entscheidung wohl tatsächlich erst noch lernen müssen. Wer wie blöde zu zwei gestohlenen Tanklastzügen rennt, um dort Benzin zu zocken, sollte eben damit rechnen dabei als Taliban identifiziert und behandelt, d. h. „vernichtet“ zu werden (Wortwahl s. Wikipedia). Hat die Leute ja niemand zu gezwungen. Man kann auch arm sein und trotzdem anständig bleiben. In Deutschland haben die Trümmerfrauen schließlich auch keine Kartoffeln geklaut. Ganz genau, Fritz! Okay, jetzt reicht's, sonst muss ich heute tatsächlich noch kotzen...

Der verantwortliche Oberst Klein wurde übrigens kürzlich zum General befördert. 91 Tote. Ein deutscher Held in bester Tradition. Aber der Aufschrei blieb ein dünner und verhallte schnell, denn auch wenn man sich noch nicht wieder offiziell von Blut und Eisen zu grunzen traut in diesem Land, liegt der Gestank dazu schon in der Luft und in den Hinterhöfen der abgeschriebenen Viertel singen abgeschriebene Kinder „Kaserne, Kaserne,...“. Der Einführung der Berufsarmee gingen zehn Jahre Dauerbeschuss mit als Dokumentationen getarnten Werbeclips für Marine, Herr und Luftwaffe voran, nicht bloß auf NTV, und die Bundeswehr präsentiert inzwischen nicht nur in der Glotze, sondern auch an Schulen ihren preisverdächtigen Mix aus Spiel, Spaß, Spannung und Existenzsicherung. Abenteuer Auslandseinsatz, so ähnlich wie unterwegs sein mit dem Marlboro-Team oder ein Bungee-Jump von der Golden-Gate-Bridge oder ein Rollenspiel im Netz. Und am Ende nach Hause, „mit buntem Blech geehrt oder einfach ganz in Zink.“ Was bleibt da zu sagen, außer: „Herzlichen Glückwunsch, wir gratulier'n, zu einem Leben voller Schwung, Einsatz und Begeisterung...“?

Und was passiert hier eigentlich? Ist das ein Programm, hat das etwa Methode? Öffentliche Gelöbnisse, Fackelzauber, der schlechte Erinnerungen weckt, und die gern wiederholte Frage nach Denkmälern und Gedenktagen für die gefallenen Helden... Ja, auch diesen Begriff muss der moderne, schuldlose Deutsche wieder in sein großes Maul nehmen dürfen. Was da nicht alles rausquillt, seit er sich nicht mehr schämt... Zum Beispiel, dass wirtschaftliche Interessen ein legitimer Kriegsgrund seien. Einer musste deswegen noch zurücktreten. Ein anderer gab ihm recht, blieb und stolperte erst später. Selbst der Einsatz der Armee im Innern ist nicht länger tabu. Mit einem Mal scheint alles möglich, wirklich alles... Aber wer will Danzig schon zurück, abgesehen vielleicht von Erika Steinbach?
Und was sagt unser deutsches Kino eigentlich zu all dem?

Nicht gerade viel, will mir scheinen. Der Filmkünstler Wim Wenders ist damit beschäftigt für Samsung zu werben und das neue hässliche Berlin zu feiern (darauf reimt sich: auf das Notebook reihern!), dem widerlich parfümierten Tom Tykwer ist das alles zu banal, Fassbinder und Schlingensief sind tot und Detlev Buck will offenbar auch nicht, dass die große Politik ausgerechnet an ihm hängen bleibt. Ken Loach? Ist leider Brite...

Wer bleibt da noch übrig? Richtig, Til Schweiger, dessen Nachname mehr verspricht als sein geschwätziger Träger jemals zu halten vermochte, der sich aber auch, im Gegensatz zu all den vertrockneten Intellektuellen der deutschen Arthaus-Schickeria, nie gescheut hat dem gesunden Menschenverstand und der Volksseele eine Stimme zu geben, mochte selbige nun nach akuter Hodenquetschung klingen oder nicht. Ein Mann, der pädophilen Vergewaltigern gerade noch das Recht auf Leben zugestehen will und sein mittlerweile ohnehin etwas zerknautscht wirkendes, 50-jähriges Jungengesicht dazu bei Markus Lanz in gerechte Zornesfalten legt. Gewiss, auch einer, der älteren Herren Prügel androht und sich ansonsten auf weitestgehend geistfreie Komödienstoffe mit süß-frechen (oder frech-süßen) Kindern und ein bisschen Sexgequatsche spezialisiert zu haben scheint, der aber sofort zur Stelle ist, wenn ihn das Vaterland und die Talkshow-Redaktionen rufen. In diesen vollgeblähten Sesseln -wie auch mit seinem jüngsten Werk- verlangt er von uns derzeit mehr Respekt vor „unseren Soldaten“, die „für uns“ und „unsere Werte“ täglich ihr Leben auf's Spiel setzen, ohne sich, da dies nun mal ihr Job ist, aussuchen zu können, wo die Reise hin geht. Den Krieg politisch bewerten möchte der parteilose Freidenker Schweiger freilich nicht, was er aber noch ganz sicher weiß ist, dass Deutschland und seine Demokratie viele Feinde haben und Bundeswehr und Polizei deswegen eben gebraucht werden.

An dieser Stelle nur mal ein paar Fragen:
Ist es eigentlich grundsätzlich respektabel sein Leben auf's Spiel zu setzen? Man denke zum Beispiel an jemanden, der auf der A40 Joggen geht, wenn gerade kein Stau ist... Könnte es vielleicht sein, dass es auch darauf ankommt wofür man sein Leben riskiert?

Wenn man sich aber nun von irgendwem (und sei es von der eigenen Regierung) zum Kämpfen und Sterben in andere Länder schicken lässt, ohne zu wissen, ob das richtig oder falsch ist, ist das dann tatsächlich aller Ehren wert? Könnte doch sein, dass man, fehl am Platz und somit auch ganz ohne Not und Notwehr-Recht, Menschen erschießt, und das nur weil man sich nicht genug für die Hintergründe seines Auftrages interessiert hat... Und wäre man dann nicht doch bloß ein Mörder? Kann man das Töten wirklich als Job betrachten, ähnlich wie ne Putzfrau, der egal ist wessen Klo sie reinigt, und dabei noch behaupten man sei etwas anderes als ein lausig bezahlter Berufskiller? Und seit wann sind Berufskiller eigentlich ehrenwerte Leute?

Nein, Herr Schweiger, so geht das nicht, Disco-Proll hin oder her. Entweder man befürwortet den Militäreinsatz in Afghanistan und hält das ganze für eine selbstlose humanitäre Aktion. Dann muss man tatsächlich vor jedem und jeder, der/ die dort im besten Glauben seinen/ ihren Dienst tut, den Hut ziehen. Oder man lehnt diesen Krieg ab. Dann kann es aber nur noch um Mitgefühl und nicht mehr um Respekt gehen. „Weiß nicht so genau“ kann einfach kein hinreichender Grund sein Leben zu nehmen oder sein eigenes herzugeben.

Und niemand, wirklich niemand, ist vom Fragenstellen und Weiterdenken entbunden. Nicht die Soldaten, nicht der Herr Schweiger und wir auch nicht!
Eine mögliche, leider bis heute nicht widerlegte Antwort gibt mir übrigens Tucholsky und da ich mit ihm begonnen habe, will ich auch mit ihm schließen:
„Die Sturmreihen sind in die Erde versunken, die armen Jungen, die man hier vorgetrieben hat, wenn sie hinten als Munitionsdreher ausgedient hatten. Hier vorn arbeiteten sie für die Fabrikherren viel besser und wirkungsvoller. Die Rüstungsindustrie war ihnen Vater und Mutter gewesen ; Schule, Bücher, die Zeitung, die dreimal verfluchte Zeitung, die Kirche mit dem in den Landesfarben angestrichenen Herrgott – alles das war im Besitz der Industriekapitäne, verteilt und kontrolliert wie die Aktienpakete. Der Staat, das arme Luder, durfte die Nationalhymne singen und Krieg erklären. Gemacht, vorbereitet, geführt und beendet wurde er anderswo.



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