"Wo es schmerzt, da greift man hin" (40)

Dienstag, 13. November 2012 um 17:38 - monsignore genickschuss
Solidarität mit Michael Jäger!
Gegen eine Zensur wissenschaftlicher Literatur!

Eine Rezension seines noch immer nicht offiziell erschienenen Buches:

Michael Jäger: Anmerkungen zum faschistischen Charakter der deutschen Sprache und nazistischen Kontinuitäten in Kultur und Gesellschaft.
Noch ist unklar, ob das neue Buch von Michael Jäger überhaupt veröffentlicht wird und das obwohl die Erstauflage schon seit Wochen zur Auslieferung bereit liegt und der Folgeband („Antisemitismus im Zeitalter des Poststrukturalismus. Vom Ende eines Traums.“ ) bereits geschrieben ist. Diese Rezension bleibt also bis auf Weiteres eine unter Vorbehalt.

In seinem letzten Werk hatte der junggebliebene Berliner, thematisch überraschend, aber in gewohnter Schärfe, mit den deutschen Protagonisten einer internationalen Subkultur abgerechnet: „Das Bunt ihrer Haare soll sie vom Feldgrau der Wehrmacht abheben, aber die schwarzen Stiefel und Jacken legen den SS-Bezug zu nahe, um ihnen den deutschen Gruß zu verweigern. Traurige Sturmtruppen freilich, die sich da um Mülleimer balgen, nicht nur aus Sicht des Altnazis.“ („Punk. Oder: Warum die Deutschen lieber Leergut sammeln als für Israel zu streiten!“, Berlin 2004). Allerdings hatte sich Jäger schon kurz nach Erscheinen des 89-Seiten-Büchleins von seinem Text distanziert, nicht weil es daran inhaltlich etwas auszusetzen gäbe, sondern weil der Inhalt noch nutzloser sei als alles was er bisher geschrieben habe und in Zukunft noch schreiben werde, so Jäger.

Mit „Anmerkungen zum faschistischen Charakter der deutschen Sprache und nazistischen Kontinuitäten in Kultur und Gesellschaft“ kehrt der, trotz zahlloser Publikationen noch verhältnismäßig unbekannte Linguist und Soziologe nun jedoch – Viele werden aufatmen! - zu seinem großen Thema zurück und Kapitelüberschriften wie „Subjekt-Prädikat-Objekt – Ein Satzgefüge als Lebenslüge“ zeigen bereits an, dass dieser Autor über seinen Ausflug in die geistlosen Untiefen des Punk keinen Deut an intellektueller Reife und sprachlicher Präzision eingebüßt hat.

In dem nur 18 Seiten umfassenden Kapitel „Verben der NS-Bewegung“ setzt Jäger sich zum Beispiel und unter anderem mit der nun nicht länger zu übersehenden moralischen Verrohung, ja der Pervertierung  des Passiv auseinander und weist anhand etlicher Beispielsätze nach, wie die ursprüngliche Leidensform, die einst jenen zustand, die etwas erdulden mussten, von Legionen deutscher Mitläufer und -täter schon in den Nachkriegsjahren okkupiert und so letztlich gegen die Opfer gewandt wurde. „Wir wurden verführt!“, „Wir wurden in den Krieg geschickt!“ - Mögen Hilfsverb und Partizip II hier auch noch so offensichtlich in zunächst verzweifelte, bald jedoch hämisch feixende Komplizen der ewig-Schuldlosen transformiert worden sein, es brauchte erst einen Michel Jäger, um uns die Verkommenheit dieser, von nazistischer Semantik befallenen und längst zum Brechen reizenden, grammatischen Konstruktionen in aller Deutschlichkeit vor Augen zu führen. Folgerichtig schließt dieser Absatz denn auch mit der Forderung nach einem offiziellen Verbot des für Jäger unrettbar verlorenen Passiv im Deutschen und dem bewegenden Satz: „Wir wurden nicht, wir haben!“

Ein weiteres nicht bloß rhetorisches, sondern geradezu philosophisches Highlight des Buches ist die Feststellung der Gleichzeitigkeit von Banalität und Sinngebung im Gebrauch adverbialer Bestimmungen („Wohin? Oder: Warum die Deutschen ihr Böses so gern lokalisieren wollen“). Beides, so Jäger, müsse es jenen Deutschen, die im Bewusstsein ihres Unmensch-Seins noch immer so verzweifelt wie hoffnungslos um ihr Mensch-Sein ringen, eigentlich unmöglich machen das Wort Auschwitz, den kulturellen Unort also, für bagatellisierende und dennoch richtungweisende Angaben des Ortes zu missbrauchen. Trotzdem fahren bis heute tausende von Schulklassen „nach Auschwitz“ so wie sie „nach Rügen“ oder „nach Hamburg“ fahren und tragen auf diese Weise unter dem Deckmäntelchen der historischen Aufklärung und der Erziehung zur Demokratie, die, wie Marcuse einst zu recht sagte, längst eine totalitäre ist, nicht nur zur Relativierung, sondern auch zur beruhigenden Lokalisierung des Grauens bei. Es sei Jäger verziehen, wenn er selbst an dieser Stelle für einen Moment ins Pathos abgleitet und ausruft: „Auschwitz ist nicht nur in Auschwitz, es ist in uns. Wir sind das Volk und deshalb sind wir Auschwitz! Wir können gar nicht anders! Von der Romantik bis zum Musikantenstadl – Des Deutschen Herz ist eine Gaskammer! “

Sprachlich wie inhaltlich ebenfalls sehr gelungen ist das sich über 33 Seiten ergießende Kapitel „Von Magda Goebbels bis Emma – Warum die deutsche Frau kein Opfer sein kann“, in welchem Jäger mit beinahe spielerischer Leichtigkeit den scheinbaren Gegensatz von Mutterkreuz und Parolen wie „Mein Bauch gehört mir“ als Täter-Lüge entlarvt und Auszeichnung wie Sprüchlein in eine ungebrochene Tradition völkischen Denkens  einordnet. Ohne die von Herta Hausmann propagierte und erprobte Dialektik des Gebärens bemühen zu müssen, zeigt er hier die Parallelität und Kontinuität von nazistischem Sprachgebrauch („Opferkult und -mythos“) und pervertierter Mütterlichkeit auf und schreckt, ganz bei sich und die mit Gewissheit folgenden Aufschreie deutschtümelnder Grünen-Wählerinnen in Kauf nehmend, nicht davor zurück folgende Sätze gegen den herrschenden Diskurs zu formulieren: „Der Kampf um die Emanzipation der deutschen Frau von ihrem deutschen Manne war nicht mehr und nicht weniger als der verzweifelte Versuch Schuld abzustreifen, sich selbst als Ausgelieferte zu beschreiben, um sodann einen neuen Anfang wagen zu dürfen. Denn war der deutschen Frau ihr Selbstbestimmungsrecht tatsächlich bis in die damalige Gegenwart hinein weitestgehend vorenthalten worden, konnte sie für das Dritte Reich, den Massenmord also, kaum zur Verantwortung gezogen werden. Kinder allerdings sollten bei diesem Neubeginn zunächst keine Rolle spielen und dies aus zwei Gründen: So wie Magda Goebbels, die ihre Brut lieber vergiftete als sie in einer unarischen Welt aufwachsen zu lassen, erkannte auch die moderne deutsche Frau instinktiv, dass ihre Kinder in einem von Negern und Juden besetzten und kontrollierten Land mehr schädlichen Einflüssen ausgesetzt sein würden, als eine noch so gute Erziehung auszugleichen im Stande wäre. Hinter den bald massenhaft vorgenommenen Abtreibungen stand also letztlich, bewusst oder unbewusst, ein alter Grundsatz: Lieber tot als verjudet! Anders ausgedrückt: Die Parole `Mein Bauch gehört mir' hätte eigentlich ergänzt werden müssen zu `Mein deutscher Bauch und mein deutsches Kind gehören mir und nicht dem Weltjudentum!' Das war gemeint und kein pseudolinkes Demokratiegewäsch vermag daran etwas zu ändern!“  Als zweiten Grund nennt Jäger kurz darauf die von der Frauenbewegung angestrebte Gleichberechtigung in beruflicher Hinsicht, bei der es für ihn nur vordergründig um die Verteilung von Karrierechancen, hintergründig aber um einen rechtsradikalen Marsch durch die Institutionen ging. „Plagte einige der sich mit ihren Vätern identifizierenden Männer noch ein schlechtes Gewissen, diese bis dato machtlosen, folglich unschuldigen Frauen mussten sich um solchen Ballast nicht kümmern. Wozu sind die Füße da? Zum Marschieren! Für sie ging es nur noch voran und kein Stalingrad verbaute ihnen den Weg!“   

Hier und an vielen anderen Stellen des etwa 700 Seiten umfassenden Buches offenbaren sich die wissenschaftliche und die sprachliche Größe Michael Jägers in vollem Umfang. Er spitzt zu, aber er überspitzt nicht. Er schreibt nicht ohne Witz, aber das Lachen bleibt uns im Halse stecken. Er ist unerschütterlich und treffsicher in seiner Anklage, etwa wenn er die vermeintlich Pathos-freie Sprache der Gruppe 47 und eines Heinrich Böll als „eben auch den dümmsten Landsern  verständlich“ beschreibt, aber er spart sich selbst nicht aus, erkennt und benennt die eigene Lage.

Als Ostdeutscher, der seine Schullaufbahn noch zu DDR-Zeiten hinter sich bringen musste, dem als Fluchtpunkt also gerade noch die russische Pogromsprache bliebe („Vom arischen Regen in die slawische Traufe“, Berlin 1991), hat Jäger nicht nur sein Scheitern in mehreren VHS-Englisch-Kursen in einem viel diskutierten Aufsatz reflektiert wie niemand vor ihm („Warum der Sachse kein Angelsache mehr werden kann“, Berlin 1993), sondern sich schließlich auch sein eigenes Gefangen- und Tätersein mit erbarmungsloser Konsequenz eingestanden, wobei er den nur aus einer einzigen, ungeheuer präzisen Zeile bestehenden Kurztext „Auch ich spreche Deutsch, auch ich bin ein Mörder.“ in Vertretung einer neuen Adorno-Exegese und zudem in aller Bescheidenheit selbst als das „einzig mögliche Gedicht nach Auschwitz“  bezeichnet hat („Das lyrische Ich als Täter und warum Selbstgeißelung nichts nützt und trotzdem unsere Pflicht ist“, Berlin 2000). Umso beachtlicher will mir scheinen, dass Jäger, der sich „wie mit tausend Ketten behangen und mit allem Blut der Welt besudelt“ fühlt („Vom vergeblichen Versuch einer Selbstdekonstruktion“, Berlin 2002), in der Sprache des Faschismus unbeirrt weiter gegen den Faschismus, ja letztlich gegen sich und uns alle anschreibt.

Während ich diese Zeilen tippe, höre ich, wie sich draußen Sprechchöre nähern. Nein, dies ist kein Scherz, keine lächerliche Erfindung, die diese Rezension interessanter machen, ihr eine größere Dringlichkeit verleihen soll. Die lokale Kameradschaft hat mobilisiert und marschiert zusammen mit einigen hundert Neo-Nazis aus anderen Städten durch mein Viertel. Für einen Augenblick frage ich mich, ob die Leidenschaft und die Wortgewalt eines Michael Jäger wohl in der Lage wären diese Unmenschen noch zu erreichen. Dann nehme ich Unmensch das immerhin gebundene und gar nicht so leichte Werk in die Hand, gehe zum Fenster, öffne es und warte auf ein besonders dummes Gesicht.
von Ferdinand Fusch   

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