SFE - Berlin Rebel High School

Dienstag, 25. April 2017 um 19:18 - futziwolf
via polytox:

Sehr schön, jetzt diesen Artikel zu setzen, nachdem Großmutter Futziwolf schon 1982 an der SFE lernen konnte was Solidarität und D.I.Y. bedeuten.

Am 11. Mai erscheint mit BERLIN REBEL HIGH SCHOOL ein überaus interessanter Dokumentarfilm, der ein einmaliges Schulkonzept porträtiert.
Im Film geht es um die SFE – Schule für Erwachsenenbildung. Die SFE ist beides: letzte Chance für Schulabbrecher und Autoritätsquerulanten, aber auch eines der wenigen liberalen Bildungsmodelle, das tatsächlich funktioniert. Seit 1973 besteht die SFE als basisdemokratisches Projekt: kein Direktor, keine Noten. Bezahlt werden die Lehrkräfte von den SchülerInnen, die gemeinsam über alle organisatorischen Fragen abstimmen. Damit ist die SFE extrem erfolgreich und schaffte es bis ganz nach oben in den Schulwettbewerben. DIY par excellence.

Die weitere Info zu dem Film ist: Der Filmemacher Alexander Kleider hat einen wilden Haufen von Berliner Underdogs auf ihrem Weg zum Abitur begleitet und auch die LehrerInnen portraitiert, denen nicht nur an der Lehre, sondern an der Neugier der SchülerInnen viel gelegen ist. BERLIN REBEL HIGH SCHOOL erzählt mit viel Witz und Energie von einer radikal anderen Idee von Schule, die Freiheit und Gemeinschaftlichkeit zusammenbringt. Was oft als Leistungsdruck verdammt wird, definieren die SchülerInnen kurzerhand um. Sie sind unbelehrbar und dabei extrem neugierig, sie sind eigen- und doch auch lernwillig. BERLIN REBEL HIGH SCHOOL zeigt mit viel Begeisterung, Sensibilität und Kraft, wie viel gemeinsame Zukunft in dieser Kombination stecken kann.

berlinale
crew-united.com
dok-werk




































Artikel in junge Welt:

Bildet Banden, bildet euch!

Der Dokumentarfilm »Berlin Rebel High School« über die außerschulische Opposition in Kreuzberg

Von André Weikard
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Nicht mehr für, sondern gegen das System lernen
Foto: Neue Visionen Filmverleih

»Berlin Rebel High School«, Regie: Alexander Kleider, D 2017, 92 min, Donnerstag angelaufen

Der eine ist Kiffer, der andere Mobbingopfer, der nächste hat ein gutachterlich attestiertes »Problem mit Autoritäten«. Manche sind mehrfach von Schulen geflogen, andere irgendwann einfach nicht mehr hingegangen. Mit Anfang 20 nimmt sie keine Schule in Deutschland mehr auf. Keine außer der Berliner »Schule für Erwachsenenbildung«, kurz: SfE. Die ist eigentlich gar keine Schule, sondern ein Verein. Eine nichtstaatliche, nichtkommerzielle Lerneinrichtung, basisdemokratisch von den Schülern selbst verwaltet. Die bekommen hier keine Noten, kennen keinen Direktor, ja, sie können sogar jederzeit ihre Lehrer feuern. Dafür müssen sie Klos und Flure selber putzen.

Entsprechend heruntergerockt wirkt die Schule auf den ersten Blick. Die Wände sind bemalt, die Rohre unverputzt. Manchen der Neuankömmlinge wundert’s. Ein halbes Dutzend von ihnen hat Dokumentarfilmer Alexander Kleider auf dem Weg zum Abitur mit der Kamera begleitet. Für schmale 160 Euro Schulgeld bekommen sie hier Unterricht vom schnauzbärtigen Alt-68er mit einer Schwärmerei für Brecht, zweiwöchentliche Vollversammlungen, in denen das Applaudieren verboten ist (»fanden manche hier zu aggressiv«) und eine notdürftige Essensversorgung (»warte nur, bis alles andere weg ist, dann essen sie auch die Tomatenmarkbrötchen und merken, wie geil das schmeckt«).

Der Unterricht an der SfE beginnt um 9.30 Uhr, und trotzdem verschläft ein großer Teil der Klasse. Bei gutem Wetter trudeln ohnehin meist nur zwei, drei Schüler ein. Mehr als gutgemeinte Ermahnungen drohen den Schwänzern nicht. Im Gegensatz zum staatlichen Schulsystem mit seiner Besessenheit von der permanenten Evaluation und seiner folterinstrumentalen Selektionsgier lernt an der SfE nur, wer lernen will. »Bildet Banden, bildet euch!« fordert ein Slogan an der Wand. Die »Banden«, anderswo Lerngruppen genannt, sind ein wichtiges Element des selbstbestimmten Lernens.

Die dann doch kommen, sitzen da, wie sie in keiner anderen Klasse sitzen dürften. Mit dem Hund unterm Tisch, dem Handy in der Hand und Club-Mate-Flaschen. Einige von ihnen waren vor kurzem noch obdachlos oder lebten im Heim. Wenn der Regisseur sie nach Hause in ihre Kreuzberger Altbau-WGs begleitet, köcheln die Ravioli in der Dose, und es gibt Bier dazu.

Filmemacher Kleider war selbst einst Schüler der SfE. Das macht natürlich verdächtig, das reformpädagogische Langzeitprojekt zu idealisieren. Er tut es nicht. Trotz Kleiders zugeneigtem Blick auf seine Protagonisten kommen die Krisen und Mängel der Schule zur Sprache. Zum Beispiel die prekäre Situation der Lehrer. Die haben nicht nur keine Jobgarantie, immer abhängig von den Entscheidungen der Vollversammlung, sie arbeiten auch für den Einheitstarif von 12,50 Euro die Stunde. Einige von ihnen bis ins hohe Alter, da nach einem Berufsleben an der SfE die Rente kaum 800 Euro erreicht. Und immer, wenn mal wieder die Insolvenz droht, werden die Gehälter eingefroren.

Ganz ohne Leistungsdruck schaffen es auch die SfEler nicht zur Hochschulreife. Weil ihre Schule keine Abiturprüfungen abnehmen darf, müssen sie sich als externe Prüflinge an Berliner Gymnasien benoten lassen. Und so erfolgt die Ausbildung an der SfE zumeist in drei Etappen: Euphorie–Ernüchterung–produktive Panik. Das sind die drei Kapitelüberschriften, mit denen Kleider seinen Film gliedert. Seine sechs Protagonisten gehen die volle Distanz. Keiner bricht die Schule ab. Nur einer, Alex, fällt mündlich in Kunst durch. Sein trotziger Vorsatz: »Im nächsten Jahr mache ich es noch mal. Dann eben mit Auswendiglernen statt echtem Wissen.«

Es ist diese Haltung, mit der viele dranbleiben. Sie lernen nicht mehr für, sondern gegen das System. Finden in ihren SfE-Lehrern Verbündete gegen die verhasste schulische Gängelung. Sie lernen, eigenständig zu arbeiten, verstehen aus eigenem Antrieb statt stur zu pauken. Tausende hat die Kreuzberger Punkschule im Laufe der Jahrzehnte durchs Abitur gebracht. Viele davon waren von der Regelschule längst aussortiert. Kleiders starker Film endet damit, dass Alex ein zweites Mal in die mündliche Kunstprüfung geht. Und besteht. Mit 14 Punkten, Note eins.

 

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