Berufsverbot für Heavy-Metal-Musiker?

Freitag, 28. Mai 2010 um 18:43 - futziwolf
Na warum denn nicht, könnte man meinen, doch schließlich geht es hier nicht um Musikgeschmack, sondern um einen recht heftigen Fall von Berufsverbot in Baden-Württemberg: Behörden verlangen von einem Lehramtsanwärter, dass er sich nachweislich von seiner Musikrichtung distanziert. Genosse Astrolabius hat für den aponaut die schlimme Geschichte kommentiert und grüßt dazu mit einem überzeugenden
"Es lebe die Freiheit der Kunst!" ... Kommentare einsehen

Wie wir alle wissen, leben wir in der freiheitlichsten aller möglichen Gesellschaften. Die zugespitzte Entscheidung zwischen „Freiheit oder Sozialismus“ ist ja glücklicherweise zugunsten ersterer ausgefallen, und wenn wir auch mit gewissen sozialen Ungleichheiten leben müssen – selbstverständlich abgefedert durch die Mechanismen unserer bewährten sozialen Marktwirtschaft – so ist uns dieser Preis doch nicht zu hoch für die enormen Möglichkeiten freier Selbstentfaltung und -verwirklichung. Nicht zuletzt die Freiheit der höchsten Form persönlichen Ausdrucks, namentlich der Kunst, ist uns ein hohes Gut. Kaum zu fassen, dass vor etwa einem halben Jahrhundert noch in diesem unserem Lande ZENSUR herrschte, dass gewisse Kunstsparten als ENTARTET galten und, schlimmer noch, ihre Vertreter als PSYCHISCH KRANK galten, vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wurden und im schlimmsten Falle... Na, kein Grund sich aufzuregen. Dieses finstere Kapitel unserer Vergangenheit ist schließlich vorbei, aufgearbeitet, abgehakt. Heutzutage könnte so etwas nicht mehr passieren. ES SEI DENN...

Es sei denn? In der Tat, es sei denn, man spielt in einer Heavy Metal Band und versucht, Lehrer in Baden-Württemberg zu werden. Kaum zu glauben, aber der Gitarrist und Sänger der Death Metal Band Debauchery wurde, nachdem seine Schulleiterin Kenntnis des ENTARTETEN Treibens (kein Originalzitat) nahm, von ihr als PSYCHISCH KRANK bezeichnet (dies allerdings IST ein Originalzitat) und flugs vom Stuttgarter Regierungspräsidium vor die Alternative gestellt, entweder seine Karriere als Lehrer an den Nagel zu hängen oder aber auf der Stelle sein unheiliges musikalisches Treiben einzustellen.

ZENSUR? Nein, natürlich nicht. Eine Zensur findet schließlich nicht statt, das steht so im Grundgesetz. Hier kann jeder machen, was er will... Aber wo kämen wir denn da hin, wenn in unserem Bildungssystem jeder nonkonformistische Freak die wertvollste Ressource ausbilden dürfte, die unser Land zu bieten hat. Unsere Schüler sind schließlich das Wachstumspotenzial der Zukunft! Am Ende kämen noch lauter nonkonformistische Individuen aus den Schultoren gelaufen, die sich möglicherweise auch noch weigern würden, mit dem Stempel „Humankapital“ als Primäridentität ihren weiteren Lebensweg zu beschreiten! Nein, es ist in der Tat nur die wohlverstandene Aufgabe einer Rektorin und ihres Vorgesetzten, die Kinder in diesem unserem Lande zu schützen vor dem Unnormalen und Entarteten, auf dass sie alle normal und artig in die Schubladen hüpfen mögen, die das deutsche Selektionssystem für sie bereit hält.

Und, ja, auch das muss man erwähnen. Die ganzen Amokläufe! Man muss sich ja nicht wundern. Nein, nein, wundern muss man sich wirklich nicht, wenn zu den ganzen schlimmen Filmen, den Killerspielen und der Flut an Satansmusik auch noch in der Schule, auch noch in der Position des LEHRERS das Böse auf die Kleinen einströmt! Nein, das kann man nicht verantworten. Würden die ganzen kleinen aussortierten Bildungsverlierer ihr Leben mit Heimatfilmen, Marschmusik und Schützenfesten verbringen, könnte so etwas nie passieren. Da müssen die ganzen schlimmen Bilder und Plattencover dran schuld sein... Wer würde denn auch bloß aufgrund von Chancenlosigkeit, sozialer Ungerechtigkeit und der Stigmatisierung als kompetenzloser Volltrottel, der bestenfalls darauf hoffen darf, zeitlebens für eine Zeitarbeitsfirma Klos zu putzen, auf die Idee kommen, zur Waffe zu greifen? Wehrlose Schüler und Lehrer grauenhaft abzuschlachten? Sich letzten Endes auch noch „selbst zu richten“, wie es immer so schön heißt? Niemand. Jedenfalls niemand, der in Sowi aufgepasst hat. Schließlich ist das bisschen soziale Ungleichheit ein Preis den wir gerne zahlen, für die grenzenlosen Möglichkeiten individueller und freier Selbstentfaltung... von Genosse Astrolabius



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Kommentare

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  1. Schreihals :

    Es ist immer wieder schade zu sehen, dass es immer noch Menschen gibt, die auf Grund von Unwissen Entscheidungen treffen können, die die Freiheit eines anderen derart eingrenzen. Man könnt nun natürlich dieser spezifischen Musikszene vorwerfen, dass sie sich der Gesellschaft nicht ausreichend erklärt. Es bliebe aber abzuwarten, ob ebendiese an Erklärungen überhaupt ein Interesse hat, wo sie sich doch an jeder verdrehten, überspitzten medialen Darstellung ergötzt, wohlwissend, dass sie ENDLICH das BÖSE gefunden hat, dass es nun zu bekämpfen geht. Die URF (united Rentner forces) tritt endlich wieder in Aktion und sorgt zusammen mit der GERK (Geistig elitäre Reinigungskräfte) dafür, dass unsere Kinder..... BLABLABLA
    Von einer Rektorin sollte man wohl erwarten können, dass sie dazu in der Lage ist, sich ein differenziertes, eigenes Bild von einer Sache wie Metal zu machen. Traurig, traurig...
    Erlich gesagt hoffe ich einfach, dass dieser (nun leider nicht mehr) Lehramtsanwärter kräftig klagt und gewinnt. Sollte dies nicht der Fall sein, ist es denke ich eindeutig, dass die von allen hochgehaltene Freiheit keinen Cent mehr wert ist...


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