Zensus11 rollt und rollt

Sonntag, 13. Februar 2011 um 11:50 - Toxo


„Volkszählung“, ach, das hat schon so einen herrlich altbacken klingenden Beigeschmack. Machen klingen da noch die Jahreszahlen 1933 und 1939, die Wörter „Nazideutschland“,“Automatisierung“, „Hollerith-Lochkarten“ und „Rasterfahndung“ mit, anderen aber auch die Jahre 1983 und 1987 und die Wörter „Boykott“, „Verweigerung“, „Informationsselbstbestimmungsgesetz“. Tatsächlich gab es in den vergangenen hundert Jahren mehrere Volkszählungen in der Geschichte der BRD und DDR, in beiden Staaten wurde in den 1950er, 60er und 70er jeweils eine durchgeführt. Die für 1983 in der BRD geplante Volkszählung fand aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgericht nicht wie geplant statt. Das Urteil besagte, die Volkszählung sei deswegen rechtswidrig , weil die Beantwortung der Fragen Rückschlüsse auf die Identität der Bürger zulassen würde und damit den Datenschutz unterlaufe und gegen das Grundgesetz verstoße. [..]

Das Bundesverfassungsgericht schuf mit diesem wichtigen Urteil das ausdrückliche Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Volkszählung wurde auf 1987 verschoben, genug Zeit also, um die Bevölkerung massiv zu informieren und zu mobilisieren. Was geschah schrieb Geschichte , die Befürworter des Zensus stießen eine großangelegte Werbekampagne an um das Image der Aktion reinzuwaschen, trotzdem gab es eine riesige Bereitschaft zur Verweigerung der Auskünfte, die Auswertung der Ergebnisse war kaum möglich, ca. 15% der Bögen konnten nicht gewertet werden, weil sie schlicht fehlten, weitere 10% der Empfänger bekamen erst gar keinen Bogen. Danach war es recht still um das Thema, obwohl der „Mikrozensus“ seid 1996 jährlich ca 1% der Menschen im Land befragte.

Nach einer Atempause nahmen die Planungen der Datensammler jedoch wieder Fahrt auf. Ab 2001 wurde das Verfahren zur „registergestützten Volkszählung“ geprüft, 2006 entschied sich das Bundeskabinett für den Einsatz dieses Verfahrens zur nächsten großen Zählung 2011.
Geplant ist nun zum Stichtag 9. Mai 2011 ca 30 % der hier lebenden Menschen zu befragen, einerseits durch Stichproben bei ca. 10% der Haushalte und zum anderen durch eine Vollerfassung aller Eigentumsgebäuden und -wohnungen, dazu kommen noch vollerfasste Sonderbereiche (hierzu zählen u.a. Haftanstalten, Krankenhäuser, psychiatrische Kliniken, alle Arten von Wohnheimen). Erhoben werden u.a. demografische Daten wie Alter und Geschlecht, Erwerbsstatus und Bildungsabschluss, Haushaltsgröße und Familientyp, Angaben zu Gebäude und Wohnung, Arbeitsort und Schulabschluss. Dafür werden allerdings Fragen zu Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund abgefragt, obwohl dieses durch die EG-Richtlinie nicht verlangt wird. Insbesondere Menschen mit islamischen Glauben werden gesondert erfasst.
Für Wohnobjekte gilt: Art der Nutzung, Eigentumsverhältnisse, Wohnung nicht meldepflichtiger Personen, soweit bekannt, Fläche der Wohnung, WC, Badewanne oder Dusche, Zahl der Räume. Und als weitere Hilfsmerkmale: Familienname, frühere Namen, Vornamen und Anschrift der Auskunftspflichtigen, Telekommunikationsnummern der Auskunftspflichtigen oder einer anderen Person, die für Rückfragen zur Verfügung steht, Namen und Vornamen von bis zu zwei Wohnungsnutzern je Wohnung, soweit bekannt: Zahl der Bewohner je Wohnung, Straße, Hausnummer und Anschriftenzusätze der Wohnung müssen angegeben werden.

Desweiteren werden die bereits vorliegenden Daten verschiedener Behörden elektronisch zusammengeführt, dazu gehören u.a. die Datensätze der Meldebehörden, Arbeitsagenturen, die der Angestellten im öffentlichen Dienst und Beamten sowie weitere „den statistischen Ämtern der Länder vorhandene Unterlagen und allgemein zugängliche Quellen“, was genau das im Einzelfall auch immer heißen mag. Eine genaue Übersicht welche Daten aus welchen Bereichen erhoben bzw. zusammengeführt werden und wie sich die einzelnen Positionen als „Erhebungsmerkmal“ bzw. „Hilfsmerkmal“ unterscheiden findet sich auf den Seiten des AK Vorrat recht ausführlich (eine komplette Behandlung der Punkte an dieser Stelle wäre äußert platzfressend): http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/

Das einmal nachgesehen wird, wie sich manche Bereiche zusammensetzen ist ja nicht durchweg negativ. Ein Wohnviertel Kleinkindern kann sicher ein paar Spielplätze vertragen, die Kapazität von Feuerwehr, Krankenhäuser etc. sollte durchaus den umliegenden Gegebenheiten angepasst werden. Dagegen spricht im Prinzip nicht soviel.

Fakt ist jedoch dass die Zusammenlegung von einzelnen Datensätzen einen Mehrwert ergeben, zumal die einzelnen Datensätze unter einer Ordnungsnummer für jede Anschrift, Person, Wohnung , Gebäude zusammengeführt werden. Jede Person ist erst einmal direkt mit allen oben genannten Punkten erfasst und zuordbar. Die Anonymisierung der Daten nach Abschluss der Erhebung ist angedacht, jedoch lässt der Plan dazu ein Zeitraum von bis zu 4 Jahren offen und es ist leicht vorzustellen, welche „Begehrlichkeiten“ eine so umfassende Datensammlung bei verschiedenen Ämtern, Behörden und Ermittlungsgruppen wie Polizei und Verfassungsschutz weckt.


Informiert über diese Pläne der Bundesregierung ist scheinbar kein Mensch so richtig. In den Medien war das Thema der bevorstehenden Datensammelorgie nur am Rande zu finden und auch Institutionen und Vereine, die sich dem Themenkomplex „traditionell“ verschrieben haben wie etwa der ChaosComputerClub, AK Vorrat oder der FoeBud e.V. schienen mit den Themen Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, Jugendmedienstaatsschutzvertrag und Netzneutralität ausgelastet. Zwar wurde das Thema immer wieder aufgegriffen, Zeit für massive Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärungskampagnen der Zensus11-Gegnerschaft schien knapp. Es schien als konzentrierte sich der Widerstand auf eine Beschwerde des AK Vorrat vor dem Bundesverfassungsgericht, welche im Juli 2010 eingereicht wurde, jedoch im am 21. September abgelehnt wurde [ http://zensus11.de ]. Die Öffentlichkeit schien zu diesem Zeitpunk weiter uninformiert und auch in der Linken gibt es so gut wie keine Auseinandersetzung mit dem Thema. Es scheint fast so, als wäre es den „Experten“ überlassen worden, das Bundesverfassungsgericht als letzter Trumpf greift diesmal nicht, die Zeit ist knapp und schon haben wir 2011, die Zusammenlegung der elektronisch bereits vorliegenden Daten läuft schon lange und ist stellenweise bereits abgeschlossen.

Eine großangelegte Boykott-Bewegung ist zeitlich nicht mehr drin, die ersten Fragebögen sind unterwegs, gerade Leute die Wohnobjekte besitzen bekommen bereits Post. Desweiteren hat die Bundesregierung aus den Desaster in den 80er Jahren gelernt: Für alle angeschriebenen Bürger gilt im allgemeinen eine Auskunftspflicht (§18 ZensG). Das Nicht-Nachkommen dieser Auskunftspflicht kann mit einem Bußgeld in Höhe bis zu 5.000 € geahndet werden. Vergleichbare Drohung gab es bereits 1987, jedoch scheint die Regierung diesmal auf ein Verwaltungszwang zu setzen, hierbei ist es nicht möglich, das sich Menschen durch die Zahlung des Bußgeldes (was solidarisch mit anderen zusammengetragen werden könnte) von der Auskunftspflicht „freikaufen“, vielmehr könnten nach und nach immer weitere „Zwangsmittel“, wie Zwangsgelder oder sogar Haft angewendet werden bis das geforderte Ziel, nämlich die Auskunft, erreicht wird.

Hier wird im Vorfeld eine repressive Bedrohungspolitik betrieben und eventuelle Solidarisierungseffekte den Wind aus den Segeln zu nehmen.
War's das dann ? Bleibt es also nur noch zu hoffen, dass du selbst nicht in den 10% Stichproben erfasst wirst, sofern Du keine Immobilie besitzt oder den „Sonderbereichen“ angehörst ? Ist das Thema Zensus11 jetzt gelaufen ? Natürlich bleibt immer noch die Möglichkeit der Verweigerung oder der bewussten Falschangabe, wenn der Bogen vorliegt, jedoch sollte sich jeder Mensch über das Riskio informieren. Auf einen breiten „Anti-Volkszählungs“-Rückhalt in der Bevölkerung kann sich nicht verlassen werden. Aber auch Spassguerilla-Aktionen sind denkbar, Gruppen von „falschen Volkszählern“, das Verteilen von massenhafte „Alternativfragebögen“. Kreativität hat hier noch Raum. Was aber vor allem wichtig ist: Verlass Dich nicht darauf, das andere Gruppen das Problem schon für Dich lösen. Eine fortschreitende Spezialisierung von Gruppen auf einzelne Themenfelder birgt die Gefahr, dass ihnen zu leicht die eigene Verantwortung für diese Themen aufgedrückt wird. Sprich mit den Menschen in deiner Umgebung darüber, was dort bei der Volkszählung geschieht und warum Dich solch eine Datensammelwut stört. Wer weiss ? Vielleicht empfindet die Generation Facebook & Myspace ja keine Abneigung dagegen und die „post-privacy“-Gesellschaft ist nun vollständig integriert, vielleicht haben aber auch deine Nachbarn, die Vermieterin, deine Ansprechperson auf dem Amt auch kein Bock darauf von der Regierung kontrolliert, analysiert, vermessen, ausgespäht zu werden und auch bei ihnen an der Tür hängt in Zukunft das Schild „volkszählungsfreie Zone“.



Infos
http://www.zensus-11.de/
http://zensus11.de/
twitter @zensus11
http://zensus2011.de/
http://www.foebud.org/datenschutz-buergerrechte/vorratsdatenspeicherung
http://www.netzpolitik.org/2010/volkszahlung-2011-stoppt-die-vollerfassung/

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