"Wo es schmerzt, da greift man hin" (29)

Montag, 5. März 2012 um 22:23 - futziwolf
Wo das wohl hinführt?
Der politische Wochenrückblick (12)
von Genosse Astrolabius
Erinnert sich noch jemand an das böse Wort vom „Raubtierkapitalismus“? Gemeint war damit keineswegs das Wesen des Kapitalisten an sich, sondern nur eine Entartung des an sich ehrenwerten Hauptakteurs eines tollen Wirtschaftssystems, das zum Wohle des Ganzen tätig wäre, wenn sich bloß alle an die Regeln hielten. Und diejenigen, die das nicht tun, das sind dann wohl anscheinend besagte Raubtiere, die alles kaputt gemacht haben oder zumindest fleißig dabei sind. Abgesehen von denen gibt es dann auch noch ganz besonders fiese Exemplare des Kapitalisten, zu finden im schon von jeher anrüchigen „Finanzkapital“, nämlich Heuschrecken, die in erster Linie damit beschäftigt sind, kerngesunde Unternehmen aus der „Realwirtschaft“ aufzukaufen, auszuplündern (oder abzugrasen, um beim Beispiel aus der Tierwelt zu bleiben) und die noch etwas dampfenden Trümmer dann zur Sanierung oder Abwicklung dem Steuerzahler zu hinterlassen.

Nun hat sich sicherlich schon so mancher Mensch, der Erfahrung mit dem Leben im Kapitalismus gemacht hat (das Leben des normalen Durchschnittsbürgers ist hier gemeint, also Wohnklo in Mietskaserne und 40-Stunden-Woche als mies bezahlter Angestellter) und vielleicht sogar von sich behaupten kann, etwas Ahnung von Wirtschaft zu haben, des Öfteren gefragt, mit welchen Tieren man denn den normalen Kapitalisten sonst so treffend bezeichnen könnte. Das Raubtier passte da doch eigentlich schon ganz gut, angesichts der Tatsache dass der in seiner freistehenden Leistungsträgervilla wohnende Chef sich den von „seinen“ Arbeitern erwirtschafteten Mehrwert regelmäßig zum Großteil in die eigene Tasche steckte. Und wer mal einen Kredit „zu günstigen Konditionen“ aufgenommen hat, etwa um sich den Traum vom eigenen Reihenhäuschen mit Jägerzaun und Gärtchen (und passendem Zwerg) zu erfüllen, der wachte meistens nach ein paar Jahren wieder in der Realität auf, in seinem alten Wohnklo, jetzt aber mit jeder Menge Schulden am Allerwertesten, die er da wahrscheinlich nie wieder weg bekommen würde. Da schien doch auch die Heuschrecke ganz treffend zu sein, um die ganzen „seriösen Geldinstitute“ zu bezeichnen, die mit ihren Hochglanzprospekten erst das Blaue vom Himmel versprochen, und einem dann die letzten Haare vom Kopf weggepfändet hatten. Und plötzlich kommen so ein Schmidt und so ein Müntefering, bisher immer staatstragend, daher und schimpfen auf Raubtiere und Heuschrecken? Ja, wo ist denn da die qualitative Veränderung, mag sich der Einzelne gefragt haben?!

In Zeiten der Krise aber, da zeigen die Vertreter des alten Kapitalismus eigenartige Wesenszüge, die man mit ganz anderen Tieren in Verbindung bringen würde. So kann man beispielsweise nicht umhin, an Eichhörnchen zu denken, wenn man sich die jüngsten Verhaltensweisen europäischer Großbanken aus einiger Entfernung ansieht. Ja, ganz recht, man möchte die Deutsche, die Commerz, die Dresdner, die Targo und die Post und wie die Banken alle heißen, tatsächlich mit dem possierlichen Nager vergleichen, der im Herbst überall Nüsse verbuddelt weil er schon jetzt weiß, dass er 80% seiner Verstecke sowieso wieder vergessen wird. Jedenfalls schaffen europäische Geldinstitute jeden Abend die unglaubliche Summe von 777 Milliarden Euro auf ihre sicheren Konten bei der EZB, verbuddeln sie gewissermaßen vorübergehend, weil sie sozusagen Angst vor einem plötzlichen Wintereinbruch haben. Am nächsten Tag kriegen sie das Geld zurück, sitzen ein bisschen drauf, und bis spätestens 18 Uhr wird alles wieder zurückgeschickt. Noch skurriler wird das Ganze, wenn man in Betracht zieht, dass sie sich den allergrößten Teil davon zuvor selbst geliehen haben, und zwar: bei der EZB! Da muss man vielleicht schon eher an Goldfische denken, mit ihren sieben Sekunden Gedächtnis. Denn die Banken zahlen zwar nur ein mageres Prozentchen Zinsen an die EZB für das geliehene Geld, kriegen für's Bunkern aber wiederum nur 0,25% zurück. Ein Verlust von 0,75% bei einer Summe von 777 Milliarden Euro, und das jede Nacht? Ausrechnen möge das jemand anders, aber nach einem besonders tollen Geschäftsmodell klingt das nicht gerade. Nun kann es einem wohl kaum Leid tun, dass die Heuschrecken von gestern ihr schönes ergaunertes Vermögen durch obsessives Verbuddeln jede Nacht selber wieder schmälern. Dennoch sollte man in Erwägung ziehen, bei der nächsten Demo vielleicht auch mal den „Eichhorn-“ oder den „Goldfisch-Kapitalismus“ anzuprangern. Um die Sache mit den Analogien zum Tierreich mal ein Wenig zu bereichern. Schade nur, dass ein häufig bemühter Tiervergleich sich bisher als offensichtliche Lüge entpuppt hat: Das Kapital sei ein „scheues Reh“, heißt es nämlich in Vorlesungen der Wirtschafts“wissenschaften“ immer mal wieder. Bisher ist es aber bedauerlicherweise noch keiner lärmenden Großdemo gelungen, das Pack zurück in den Wald zu treiben, oder wo auch immer es sonst hergekommen sein mag.


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