option weg : ...los jetzt!

Donnerstag, 11. Oktober 2012 um 01:14 - futziwolf


option weg
...los jetzt! LP / CD

LABEL: ab-dafür-records // elfenart





[review:]
Das ist nicht die neue Band vom Yok, aber der Yok spielt kräftig mit, nicht nur Quetsche, auch mal die Drums, und singt, aber nicht alle Songs. Zum Kollektiv option weg gehören außerdem Steffen (Gitarre, Bass), Moni (Bass, Geige) und Anja (Drums) und da auch diese drei ihre Stimmen erheben, weiß ich gerade passenderweise nicht einmal genau welche der Damen dem Song „weiß nicht“ so eine derbe HANS-A-PLAST-/SUPABOND-Kante mitgegeben hat. In jedem Fall geht’s hier oft deutlich heftiger nach vorne als die Instrumentierung zunächst vermuten lässt. Gewiss, Yoks musikalische Biographie kann mensch auch auf „...los jetzt!“ noch deutlich raushören, zumindest QUETSCHENPAUA und TOD UND MORDSCHLAG, und Akkordeon und Geige lassen den Begriff „Folk-Punk“ nicht gänzlich deplatziert erscheinen. Das Hippieeske von REVOLTE SPRINGEN!, das Eurem ergebenen Rezensenten bisweilen nicht so recht ins Ohr gehen wollte, fehlt hier aber komplett. Und das liegt nicht nur am Songwriting, das mich, mal melodiös, mal sperrig oder krachig (im Sinne von Noise), Namen wie BRECHT und WEILL, AUSBRUCH oder DIE GOLDENEN ZITRONEN assoziieren lässt und zudem Ausflüge in den Polka- und den Hardcore-Punk-Bereich unternimmt (die Knüppelnummer „looking for a place to be“ kehrt mehrfach in verschiedenen Sprachen wieder).

Die Begegnung mit der TISCHLEREI LISCHITZKI hat wohl ebenfalls deutliche Spuren hinterlassen... Tatsächlich zu einer Punkrock-Platte wird „...los jetzt!“ jedoch durch den Sound, die rotzig-fette Gitarre, das druckvolle Schlagzeug, die Schippe Dreck und die Schippe Härte, die Stücken wie „wenn der rücksitz brennt“, „sachen suchen packen geh'n“ oder eben „weiß nicht“ den nötigen Biss verpassen und für Bewegungsdrang sorgen. TOD UND MORDSCHLAG hatten bereits diese außerordentlich mitreißenden Momente, wenngleich sie insgesamt noch mehr an
TON STEINE SCHERBEN
als an THE CLASH denken ließen.

option
weg, die Wert darauf legen klein geschrieben zu werden, haben nun, jedenfalls aus Sicht des alten Punkrockers, alles richtig gemacht. Neben Yoks Solo-Sachen sicher das Beste an dem er bis heute beteiligt war und darüber hinaus eine LP, die sich mit den tatsächlich interessanten Veröffentlichungen der jüngeren und mittelalten amerikanischen (Folk-)Punk-Szene um Label wie Plan-it-X, Fistolo Records, Kiss of Death oder No Idea vergleichen lässt. Denn zu der musikalischen Kreativität und Energie gesellt sich hier ein politisches Bewusstsein, das nicht nur in linken Theorien, sondern auch in dem wurzelt, was die weit geöffneten Augen auf der Straße, bei der Arbeit und im Supermarkt beobachten. Autonom soweit es geht, aber nicht abgegrenzt und isoliert von Malocher und Malocherin, Arge-Opfern und Angestellten. Solidarität wird eingefordert und zugleich als auch im kapitalistischen Alltag mögliche Praxis beschrieben. Kleine Gesten und Freundlichkeiten und offene Türen zur rechten Zeit erleichtern das Weitermachen und -kämpfen. Und auch der fundierte und wackere Antifaschist hat ein Konto auf der Bank und schließt viel mehr Kompromisse als ihm lieb ist. Der Blick für das Wesentliche, das sich unabhängig von Frisur- oder Gesinnungsfragen im menschlichen Handeln zeigt, und die selbstkritische Reflexion sind schon lange da und waren auch auf Yoks Veröffentlichungen als New und Old Yok immer spürbar.

In „weil wir leben wie wir leben“ heißt es „wir“ und nicht „ihr“. Dabei ist „trotzdem“ ein wichtiges Wort. Der nicht ab-, vielmehr stetig zunehmende gesellschaftliche Druck im kriselnden Kapitalismus bedingt die individuellen Krisen von Millionen und auch Musikerseelen und ihr Umfeld bleiben davon nicht unbehelligt, unbeschädigt. „Wer bin ich und wenn ja, wie lange schon nicht mehr?“ sind Fragen, die sich nicht nur Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung bzw. Menschen in der Illegalität stellen könnten. Eine starke, vorwärts drängende Linke muss sich erst wieder finden, die Revolution hingegen findet vorläufig in Gedanken statt („schrauben“). Und trotzdem ist Aufgeben keine Option, dann lieber mal das Zögern vergessen und einfach weg! Oder „öl ins feuer“ und „löcher ins gemäuer“ und die ganzen kleinen Schritte, Demoteilnahme inklusive. Der größte Hit der Platte ist fraglos das durchaus melancholische, aber keineswegs humorlose „old but punk“ zu dem sich der Yok von TV SMITH inspirieren ließ. „old but punk, tired but rebel, handicapped but still alive, slow but still moving“ heißt es da sehr treffend. Ein so böser wie deprimierender Song ist „wie verschieden“, der in drei Strophen die vermeintlich bunte Vielfalt der marktwirtschaftlich organisierten Welt und die Wahlmöglichkeiten, die sie bieten soll, dekonstruiert und im Refrain lieber den Zynismus dieser bürgerlichen Sicht der Dinge auf den Punkt bringt als für den gequälten Hörer einen Trost bereit zu halten. Aber derbe Schläge in den Magen sollen ja bisweilen Wunder wirken...

Ob das alles hier Kunst ist, weiß ich nicht und interessiert mich auch nicht. Was ich weiß ist, dass „...los jetzt!“ eine sehr schöne Platte ist, die beim eigenen „Weitermachen“ hilft. Das ist genug. Und ein jeder dort wo er ist und so wie er kann. - ATAKEKS



artist website:
www.option-weg.net

option weg sind:

Yörg (YOK) - Gesang, Drum, ec
Steffen - Gitarre, Bass
Moni - Bass, Geige
Anja - Drums

texte

mukke:

option weg - Weiss nich
option weg - Müde

discography:

LP / CD: ...los jetzt! (2012)
EP auf 7'': Tischlerei Lischitzki / option weg, Split  (9/2011)
CD: wenn der rücksitz brennt (2010)

shows:

28.09.2012 - record release-Konzert / Berlin / Südblock
20.10.2012 - YOK auf der Faulenza CD-Release-Party + Krikela / Köln / AZ
02.11.12 - Stuttgart
03.11.12 - Frankfurt (Main)


siehe auch: YOK - Quetschenpunk/Ukulelenpaua


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