Brot für die Welt
Montag, 14. Juli 2014 um 15:32 - futziwolf
WELTMEISTER im Verdrängen
Gestern beim Angrillen vor dem WM-Finale im Garten eines Freundes musste ich einer Nachbarin des Gastgebers erklären, warum ich etwas gegen Smartphones habe und wieso mir der Erfolg einer deutschen Fußballnationalmannschaft Kopfschmerzen bereite. Meine Ausführungen handelten; durchaus die Vorteile eines "freien" Internetzes würdigend; von bestimmten nachlassenden Fähigkeiten unserer "netzaffinen" Mitmenschen, wie den Verlust der "direkten" Kommunikationsfähigkeit und Empathie, Minderung der Selbständigkeit und unabhängiger freier und differenzierter Meinungsbildung bis zu den Themen "Überwachungswahn des Staates" und "Totalkommerzialisierung durch Medien und Konzerne". (Bei ihren Kindern und in ihrem Bekanntenkreis konnte sie bisher nichts davon beobachten)
Zum Thema Fußball brachte ich dann eine Reihe von Beispielen, wie der Anstieg des Nationalstolzes bei der Weltmeisterschaft einige ziemlich unappetitliche Auswüchse von "allgemein nachteiligem Kapitalismus" (FIFA Doktrin), Gewalt, Rassismus und Chauvinismus begünstigt (Mobwatch Schlandwatch). (Bei ihren Kindern und in ihrem Bekanntenkreis konnte sie bisher nichts davon beobachten)
Anschließend versuchte ich noch die bisher genannten Themen mit meinen Erfahrungen der deutschen Bildungskrise in Verbindung zu bringen, die belegbar den Zustand großer Teile der deutschen Jugend aufzeigt, welcher mit Verlaub von einer gewissen Bedarftheit bis hin zu Dummheit und sogar totaler Verblödung tendiert und somit die Frage erlaubt sei, ob unsere Konzerne, Massenmedien und deren Medienspielzeuge dazu geeignet seien diese Tendenzen aufzuhalten oder sie nicht eher in dieser Welt sind um gerade diesen Zustand der Hörigkeit zu produzieren. (Bei ihren Kindern und in ihrem Bekanntenkreis konnte sie bisher nichts davon beobachten, und außerdem, müssen wir die ganze Zeit über so was reden, können wir nich mal über was anderes reden...?)
Ich schaute ihr tief in die Augen und fragte:"Brot"? Einen ganz kurzen Moment blitzte es in ihren Augen und ich meinte auch die Gabel in ihrer Hand kurz zucken zu sehen, doch statt das die Gabel in meinem Gesicht steckte, plapperte sie auch schon über ihre letzten Brotbackerlebnisse los.
Nach dem Grillen und vor dem Anpfiff wurde die "ich weis von all den scheuslichen Dingen die du da erzählst nix" Nachbarin dann von unserem Gastgeber gegen eine Freundin seiner Lebenspartnerin ausgetauscht, die ihre umgehängte schwarzrotgoldene Girlande mit einem ironischen Augenzwinkern entschuldigte und sich als herzerfrischender, tapferer VFL Bochum Fan erwies.
>>> “Wird eine Fußballweltmeisterschaft vom Radio übertragen, deren jeweiligen Stand die gesamte Bevölkerung aus allen Fenstern und durch die dünnen Wände der Neubauten hindurch zur Kenntnis zu nehmen gezwungen ist, so mögen selbst spektakulär verschlampte Gammler und wohlsituierte Bürger in ihren Sakkos einträchtig um Kofferradios auf dem Bürgersteig sich scharen. Für zwei Stunden schweißt der große Anlass die gesteuerte und kommerzialisierte Solidarität der Fußballinteressenten zur Volksgemeinschaft zusammen. Der kaum verdeckte Nationalismus solcher scheinbar unpolitischen Anlässe von Integration verstärkt den Verdacht ihres destruktiven Wesens.” (Theodor W. Adorno; GS 8, 188f.) >>> via kotzendes einhorn
>>> presse: die taz bemüht sich gegen Legendenbildung zu kommentieren,
... weil dieses Land ein anderes, ein besseres ist. ???
>>> presse: Kontext TV : Foulspiel in Brasilien: Wie FIFA und Militärpolizei einen Krieg gegen die Armen führen
>>> nachtrag: “Weg zurück in die Staatengemeinschaft”?
Wenn Fussballdeuter Mythen nähren …
Verfasst von - Juli 14, 2014
>>> “Doch so funktioniert Fußball natürlich nicht. Große Turniere haben immer ein identitätsstiftendes Moment. Es ist wie nach einem berührenden Kinofilm. Wenn man aus dem Halbdunkel des Filmsaals ins Licht des Alltags tritt, ist man immer noch derselbe Mensch wie vorher. Trotzdem fühlt es sich anders an. Was wir sahen, hält uns fest und manchmal wirkt es fort. So war es 1954, als die Deutschen auch mithilfe des identitätsstiftenden Fußballsiegs den Weg zurück in die Staatengemeinschaft fanden. So war es, als sie 2006 lernten, dass Fahnenschwenken nichts Nationalistisches an sich haben muss.” <<< zeit.de
Danach habe ich nicht mehr weiter lesen wollen.
Genau das ist ja die Katastrophe: Dieses Hinfort-Gelüge auf der Ebene geteilten Selbstverständnisses, von Weltendeutern angeheizt.
Genau DAS macht jede Antidiskriminierungsarbeit nahezu unmöglich, genau das zementiert Rassismus, Sexismus und Hass auf LGBT-People gleich mit und verkleistert die fatale Rolle deutscher Wirtschaftspolitik im europäischen Kontext, angekurbelt durch die Deklassierung breiter Bevölkerungsschichten hierzulande: Dieses oberflächliche Gesabbel in rein symbolischen Interpretationswelten. Genau DIESER Schleim sorgt dafür, dass rein gar nicht sich ändert,
weil Egos und Selbstverständnisse sich selbstreferentiell dazwischen schieben. Typisch deutsch.
1954: Die Mörder waren unter uns. Sogar im Kanzleramt. Globcke. Kurz zuvor noch echauffierte sich “die Nation”, dass Juden überhaupt entschädigt werden sollten für KZ-”Aufenthalte”. Mir fehlen da die Worte. Jene Politiker, die sich der unmöglichen “Wiedergutmachung” trotzdem annahmen, mussten vorsichtshalber “den Vertriebenen” genau so viel Kohle rüber schieben, um den Volkszorn zu bändigen. Schwule beließ man gleich im Knast, der 175 blieb unangetastet, und ein militanter Antikommunismus vergiftete das politische Klima. Frauen, die, als ihre Männer noch an der Front waren, Autonomie erfahren hatten, wurden nun wieder in Ehen eingekerkert, in denen Vergewaltigung nicht strafbar und nicht selten war und Abtreibung verboten. Selbstmorde unehelich Schwangerer waren schlicht üblich. Der Bundestag debattierte, wie man die “Brown Babies” schnell wieder los würde, die Kinder schwarzer G.I.s – während man die Schwarzen, die in KZs einsaßen als Nachkommen u.a. der französischen Besatzungsoldaten im Rheinland, dem Vergessen überantwortete.
“Weg zurück in die Staatengemeinschaft”?
1974: Willy Brandt resignierte, hat wegen einem (!!!) Spion das Amt nieder gelegt, nachdem zumindest im Scheidungsrecht und der Bildungspolitik ein wenig Bewegung ins Land gekommen war und Ausbeutung von Arbeitnehmern Thema werden konnte. Als Schatten prägte der “Radikalenerlass”, den er später als seinen größten politischen Fehler bezeichnete, die Diskussion im Lande – und Wolfgang Kraushaar weist gelegentlich darauf hin, dass nicht ganz klar ist, ob nicht auch im Terrorismus der RAF die Geheimdienste ihre Finger spielen ließen. Zentral freilich für das Thema “Nation”: Der so genannte Anwerbestopp der sozialliberalen Koalition. Nach den Anwerbeabkommen mit Mittelmeer-Staaten fürchtete sich die sozialdemokratische Regierung vor “Überfremdung” und machte die Schotten dicht. Helmut Schmidt lästert zu dem Thema bis heute über “Ausländer” vor sich hin.
1990: Die “Ostdeutschen” erhalten Begrüßungsgeld, die “Migranten”, die ihnen schuftend den Tisch gedeckt hatten, erfahren Feindseligkeit. May Ayim hat in ihrem berühmten Gedicht “Blues in schwarz/weiß” eindrucksvolle Worte gefunden für diese “Wiedervereinigung” ohne jüdische, erneut zu “Ausländern” erklärte und schwarze Menschen. Nach dem Finalsieg war Hamburg voll von Reichskriegsflaggen, linke Kneipen wurden gestürmt. Der “Weltmeister”-Titel bereitete Hoyerswerda und Lichtenhagen, Mölln und Solingen atmosphärisch vor.
Zwischendurch schien sich mir sogar irgendetwas zu beruhigen. Das kann eine Fehlwahrnehmung sein. Ich kann mich an allzu krasses, nationales Getöse zur EM 1996 zumindest nicht erinnern und hatte 2002 auch wenig Probleme, den Spielen der Nationalmannschaft zu folgen. Es gab noch nicht diese unsäglichen Public Viewings, irre ich?, ich habe mit guten Freunden das Finale in einer Kneipe geguckt, ohne das irgendwelche Selbstverständnisdebatten nötig gewesen wären. War halt Rudi Völlers Team und irgendwie sympathisch.
Zunächst schien mir, vermutlich irrtümlich, auch 2006 noch eher wie ein internationales Fest, da das Heiligengeistfeld Ghana ebenso feierte wie das DFB-Team und es schön war, viele Menschen aus Ecuador durch die Stadt laufen zu sehen.
Doch bei den Spielen gegen Polen, klar, Harald Schmidt hatte vorbereitet, und Argentinien kippte irgendetwas.
Hinter dem Slogan vom “Sommermärchen” brach immer mehr Hass auf. Das penetrante Flaggenschwenken, zum Party-Patriotismus verklärt, gewann aus Trotz gegen die Miesmacher und Spaßverderber eine unangenehme Militanz, die zum Schweigen verdonnern sollte.
Eine hochaggressive Haltung breitete sich aus, eben jene auch der berühmt-berüchtigten Rede Martin Walsers zur “Auschwitz-Keule”, die hinter einem frei erfundenen, identitären Gewäsch einfach die Immunisierung gegen Kritik der herrschenden und dominanten Verhältnisse versteckt und sich fortwährend wehrhaft gegen vermeintliche “Erpressung” zeigt.
Das bereitete Sarrazin, Matussek, diese unsägliche Petition in Baden-Würtemberg vor, Merkels öffentliche Herabwürdigungen von LGBT-People, das nährte sich aus dem Geist von “Politically Incorrect”.
Die Selbstgerechtigkeit des “Sichnichtverbietenlassens”, was eh keiner könnte, die Machtverhältnisse sind ja klar, so was wurde in Deutschland noch nie verboten, Schwule und Lesben schon, zauberte N-Wort-Affirmationen auf den Titel von DIE ZEIT und behauptete sich “locker” und “humorvoll”. Das Bedürfnis des Verschmelzens mit einer fortwährend schön geredeten “Nation” samt lauter ach so liebenswerten Eigenschaften ist vermutlich gerade wegen der Nazi-Vergangenheit so stark. Als ich gestern all die “nur zum Spaße” Uniformierten sah, wirkte das trotzdem wie eine gespenstische Generalmobilmachung. Das Folgeproblem dieser Identitätssuche des “ist doch so lange her” ist halt, dass jedes tatsächliche Opfer der Nazis durch seine schlichte Existenz eine narzißtische Kränkung darstellt. Mit allerlei Folgewirkungen … so z.B. dieser zwanghaft-gefährliche Tick, ständig die tatsächlichen Opfer der Nazi zu eben solchen umzudichten: “Feminazis”, “Pink Swastika”, Antifa als wahre Faschisten, “Deutschenfeindlichkeit”, und zum “Nahost-Konflikt” wollte ich ja eigentlich nichts schreiben …
Insofern ist der 1954-Bezug schon ganz schön richtig …
Natürlich freut es mich, wenn das “Migazin” die Einheit der Verschiedenen feiert. Wie es mich auch freute, als ein PoC-Freund fast los heulte, als Gerald Asamoah als einst schwarzer Nationalspieler vorm O-Feuer saß und er ihm leibhaftig begegnete. Es freut mich auch, wenn die ISD Artikel über Boateng in der Süddeutschen bei Facebook hervor hebt.
Gestern waren auffällig viele Gays in meiner Timeline vollkommen Pro Nationalmannschaft. Illusion der Zugehörigkeit, die oft auch Rassismus hervor bringt, weil all dem Pink-Washing geglaubt wird. Die Lesben waren gestern schlauer … auch, weil die Weltmeistertitel der Frauennationalmannschaft eh keiner mit aufzählt. Vielleicht waren das ja immer Umschwünge zum Besseren.
Ich traue dem allem nicht.
Ich denke, wieder wird dieses Gesabbel wie jenes des großen Denkers in DIE ZEIT dazu genutzt, es vor den zutiefst unmenschlichen Umgang mit Refugees, Sinti und Roma zu schieben und noch Hass auf “Homo-Lobbies” zu nähren, weil jeder Schritt in Richtung Symmetrie und Gerechtigkeit kontrafaktisch als “Kult” oder gar “Privilegierung” ausgelegt wird und gerade WEIL ja nun alles so free and easy sei, es zum Anlass zu nehmen, mal so richtig loszuholzen, wenn es um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht.
Es wird wieder genutzt, Post-Rassismus, -Sexismus und Co zu behaupten und jeden, der wagt, dergleichen zu benennen, am liebsten auf der Stelle ausrotten zu wollen. Auf dass Alltagsrassismus und die Herabwürdigung von Frauen auch ja Realität bleiben...
Gestern beim Angrillen vor dem WM-Finale im Garten eines Freundes musste ich einer Nachbarin des Gastgebers erklären, warum ich etwas gegen Smartphones habe und wieso mir der Erfolg einer deutschen Fußballnationalmannschaft Kopfschmerzen bereite. Meine Ausführungen handelten; durchaus die Vorteile eines "freien" Internetzes würdigend; von bestimmten nachlassenden Fähigkeiten unserer "netzaffinen" Mitmenschen, wie den Verlust der "direkten" Kommunikationsfähigkeit und Empathie, Minderung der Selbständigkeit und unabhängiger freier und differenzierter Meinungsbildung bis zu den Themen "Überwachungswahn des Staates" und "Totalkommerzialisierung durch Medien und Konzerne". (Bei ihren Kindern und in ihrem Bekanntenkreis konnte sie bisher nichts davon beobachten)
Zum Thema Fußball brachte ich dann eine Reihe von Beispielen, wie der Anstieg des Nationalstolzes bei der Weltmeisterschaft einige ziemlich unappetitliche Auswüchse von "allgemein nachteiligem Kapitalismus" (FIFA Doktrin), Gewalt, Rassismus und Chauvinismus begünstigt (Mobwatch Schlandwatch). (Bei ihren Kindern und in ihrem Bekanntenkreis konnte sie bisher nichts davon beobachten)
Anschließend versuchte ich noch die bisher genannten Themen mit meinen Erfahrungen der deutschen Bildungskrise in Verbindung zu bringen, die belegbar den Zustand großer Teile der deutschen Jugend aufzeigt, welcher mit Verlaub von einer gewissen Bedarftheit bis hin zu Dummheit und sogar totaler Verblödung tendiert und somit die Frage erlaubt sei, ob unsere Konzerne, Massenmedien und deren Medienspielzeuge dazu geeignet seien diese Tendenzen aufzuhalten oder sie nicht eher in dieser Welt sind um gerade diesen Zustand der Hörigkeit zu produzieren. (Bei ihren Kindern und in ihrem Bekanntenkreis konnte sie bisher nichts davon beobachten, und außerdem, müssen wir die ganze Zeit über so was reden, können wir nich mal über was anderes reden...?)
Ich schaute ihr tief in die Augen und fragte:"Brot"? Einen ganz kurzen Moment blitzte es in ihren Augen und ich meinte auch die Gabel in ihrer Hand kurz zucken zu sehen, doch statt das die Gabel in meinem Gesicht steckte, plapperte sie auch schon über ihre letzten Brotbackerlebnisse los.
Nach dem Grillen und vor dem Anpfiff wurde die "ich weis von all den scheuslichen Dingen die du da erzählst nix" Nachbarin dann von unserem Gastgeber gegen eine Freundin seiner Lebenspartnerin ausgetauscht, die ihre umgehängte schwarzrotgoldene Girlande mit einem ironischen Augenzwinkern entschuldigte und sich als herzerfrischender, tapferer VFL Bochum Fan erwies.
>>> presse: die taz bemüht sich gegen Legendenbildung zu kommentieren,
... weil dieses Land ein anderes, ein besseres ist. ???
>>> presse: Kontext TV : Foulspiel in Brasilien: Wie FIFA und Militärpolizei einen Krieg gegen die Armen führen
>>> nachtrag: “Weg zurück in die Staatengemeinschaft”?
Wenn Fussballdeuter Mythen nähren …
Verfasst von - Juli 14, 2014
>>> “Doch so funktioniert Fußball natürlich nicht. Große Turniere haben immer ein identitätsstiftendes Moment. Es ist wie nach einem berührenden Kinofilm. Wenn man aus dem Halbdunkel des Filmsaals ins Licht des Alltags tritt, ist man immer noch derselbe Mensch wie vorher. Trotzdem fühlt es sich anders an. Was wir sahen, hält uns fest und manchmal wirkt es fort. So war es 1954, als die Deutschen auch mithilfe des identitätsstiftenden Fußballsiegs den Weg zurück in die Staatengemeinschaft fanden. So war es, als sie 2006 lernten, dass Fahnenschwenken nichts Nationalistisches an sich haben muss.” <<< zeit.de
Danach habe ich nicht mehr weiter lesen wollen.
Genau das ist ja die Katastrophe: Dieses Hinfort-Gelüge auf der Ebene geteilten Selbstverständnisses, von Weltendeutern angeheizt.
Genau DAS macht jede Antidiskriminierungsarbeit nahezu unmöglich, genau das zementiert Rassismus, Sexismus und Hass auf LGBT-People gleich mit und verkleistert die fatale Rolle deutscher Wirtschaftspolitik im europäischen Kontext, angekurbelt durch die Deklassierung breiter Bevölkerungsschichten hierzulande: Dieses oberflächliche Gesabbel in rein symbolischen Interpretationswelten. Genau DIESER Schleim sorgt dafür, dass rein gar nicht sich ändert,
weil Egos und Selbstverständnisse sich selbstreferentiell dazwischen schieben. Typisch deutsch.
1954: Die Mörder waren unter uns. Sogar im Kanzleramt. Globcke. Kurz zuvor noch echauffierte sich “die Nation”, dass Juden überhaupt entschädigt werden sollten für KZ-”Aufenthalte”. Mir fehlen da die Worte. Jene Politiker, die sich der unmöglichen “Wiedergutmachung” trotzdem annahmen, mussten vorsichtshalber “den Vertriebenen” genau so viel Kohle rüber schieben, um den Volkszorn zu bändigen. Schwule beließ man gleich im Knast, der 175 blieb unangetastet, und ein militanter Antikommunismus vergiftete das politische Klima. Frauen, die, als ihre Männer noch an der Front waren, Autonomie erfahren hatten, wurden nun wieder in Ehen eingekerkert, in denen Vergewaltigung nicht strafbar und nicht selten war und Abtreibung verboten. Selbstmorde unehelich Schwangerer waren schlicht üblich. Der Bundestag debattierte, wie man die “Brown Babies” schnell wieder los würde, die Kinder schwarzer G.I.s – während man die Schwarzen, die in KZs einsaßen als Nachkommen u.a. der französischen Besatzungsoldaten im Rheinland, dem Vergessen überantwortete.
“Weg zurück in die Staatengemeinschaft”?
1974: Willy Brandt resignierte, hat wegen einem (!!!) Spion das Amt nieder gelegt, nachdem zumindest im Scheidungsrecht und der Bildungspolitik ein wenig Bewegung ins Land gekommen war und Ausbeutung von Arbeitnehmern Thema werden konnte. Als Schatten prägte der “Radikalenerlass”, den er später als seinen größten politischen Fehler bezeichnete, die Diskussion im Lande – und Wolfgang Kraushaar weist gelegentlich darauf hin, dass nicht ganz klar ist, ob nicht auch im Terrorismus der RAF die Geheimdienste ihre Finger spielen ließen. Zentral freilich für das Thema “Nation”: Der so genannte Anwerbestopp der sozialliberalen Koalition. Nach den Anwerbeabkommen mit Mittelmeer-Staaten fürchtete sich die sozialdemokratische Regierung vor “Überfremdung” und machte die Schotten dicht. Helmut Schmidt lästert zu dem Thema bis heute über “Ausländer” vor sich hin.
1990: Die “Ostdeutschen” erhalten Begrüßungsgeld, die “Migranten”, die ihnen schuftend den Tisch gedeckt hatten, erfahren Feindseligkeit. May Ayim hat in ihrem berühmten Gedicht “Blues in schwarz/weiß” eindrucksvolle Worte gefunden für diese “Wiedervereinigung” ohne jüdische, erneut zu “Ausländern” erklärte und schwarze Menschen. Nach dem Finalsieg war Hamburg voll von Reichskriegsflaggen, linke Kneipen wurden gestürmt. Der “Weltmeister”-Titel bereitete Hoyerswerda und Lichtenhagen, Mölln und Solingen atmosphärisch vor.
Zwischendurch schien sich mir sogar irgendetwas zu beruhigen. Das kann eine Fehlwahrnehmung sein. Ich kann mich an allzu krasses, nationales Getöse zur EM 1996 zumindest nicht erinnern und hatte 2002 auch wenig Probleme, den Spielen der Nationalmannschaft zu folgen. Es gab noch nicht diese unsäglichen Public Viewings, irre ich?, ich habe mit guten Freunden das Finale in einer Kneipe geguckt, ohne das irgendwelche Selbstverständnisdebatten nötig gewesen wären. War halt Rudi Völlers Team und irgendwie sympathisch.
Zunächst schien mir, vermutlich irrtümlich, auch 2006 noch eher wie ein internationales Fest, da das Heiligengeistfeld Ghana ebenso feierte wie das DFB-Team und es schön war, viele Menschen aus Ecuador durch die Stadt laufen zu sehen.
Doch bei den Spielen gegen Polen, klar, Harald Schmidt hatte vorbereitet, und Argentinien kippte irgendetwas.
Hinter dem Slogan vom “Sommermärchen” brach immer mehr Hass auf. Das penetrante Flaggenschwenken, zum Party-Patriotismus verklärt, gewann aus Trotz gegen die Miesmacher und Spaßverderber eine unangenehme Militanz, die zum Schweigen verdonnern sollte.
Eine hochaggressive Haltung breitete sich aus, eben jene auch der berühmt-berüchtigten Rede Martin Walsers zur “Auschwitz-Keule”, die hinter einem frei erfundenen, identitären Gewäsch einfach die Immunisierung gegen Kritik der herrschenden und dominanten Verhältnisse versteckt und sich fortwährend wehrhaft gegen vermeintliche “Erpressung” zeigt.
Das bereitete Sarrazin, Matussek, diese unsägliche Petition in Baden-Würtemberg vor, Merkels öffentliche Herabwürdigungen von LGBT-People, das nährte sich aus dem Geist von “Politically Incorrect”.
Die Selbstgerechtigkeit des “Sichnichtverbietenlassens”, was eh keiner könnte, die Machtverhältnisse sind ja klar, so was wurde in Deutschland noch nie verboten, Schwule und Lesben schon, zauberte N-Wort-Affirmationen auf den Titel von DIE ZEIT und behauptete sich “locker” und “humorvoll”. Das Bedürfnis des Verschmelzens mit einer fortwährend schön geredeten “Nation” samt lauter ach so liebenswerten Eigenschaften ist vermutlich gerade wegen der Nazi-Vergangenheit so stark. Als ich gestern all die “nur zum Spaße” Uniformierten sah, wirkte das trotzdem wie eine gespenstische Generalmobilmachung. Das Folgeproblem dieser Identitätssuche des “ist doch so lange her” ist halt, dass jedes tatsächliche Opfer der Nazis durch seine schlichte Existenz eine narzißtische Kränkung darstellt. Mit allerlei Folgewirkungen … so z.B. dieser zwanghaft-gefährliche Tick, ständig die tatsächlichen Opfer der Nazi zu eben solchen umzudichten: “Feminazis”, “Pink Swastika”, Antifa als wahre Faschisten, “Deutschenfeindlichkeit”, und zum “Nahost-Konflikt” wollte ich ja eigentlich nichts schreiben …
Insofern ist der 1954-Bezug schon ganz schön richtig …
Natürlich freut es mich, wenn das “Migazin” die Einheit der Verschiedenen feiert. Wie es mich auch freute, als ein PoC-Freund fast los heulte, als Gerald Asamoah als einst schwarzer Nationalspieler vorm O-Feuer saß und er ihm leibhaftig begegnete. Es freut mich auch, wenn die ISD Artikel über Boateng in der Süddeutschen bei Facebook hervor hebt.
Gestern waren auffällig viele Gays in meiner Timeline vollkommen Pro Nationalmannschaft. Illusion der Zugehörigkeit, die oft auch Rassismus hervor bringt, weil all dem Pink-Washing geglaubt wird. Die Lesben waren gestern schlauer … auch, weil die Weltmeistertitel der Frauennationalmannschaft eh keiner mit aufzählt. Vielleicht waren das ja immer Umschwünge zum Besseren.
Ich traue dem allem nicht.
Ich denke, wieder wird dieses Gesabbel wie jenes des großen Denkers in DIE ZEIT dazu genutzt, es vor den zutiefst unmenschlichen Umgang mit Refugees, Sinti und Roma zu schieben und noch Hass auf “Homo-Lobbies” zu nähren, weil jeder Schritt in Richtung Symmetrie und Gerechtigkeit kontrafaktisch als “Kult” oder gar “Privilegierung” ausgelegt wird und gerade WEIL ja nun alles so free and easy sei, es zum Anlass zu nehmen, mal so richtig loszuholzen, wenn es um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht.
Es wird wieder genutzt, Post-Rassismus, -Sexismus und Co zu behaupten und jeden, der wagt, dergleichen zu benennen, am liebsten auf der Stelle ausrotten zu wollen. Auf dass Alltagsrassismus und die Herabwürdigung von Frauen auch ja Realität bleiben...
Jedem ist das Denken erlaubt. Vielen bleibt es erspart. Und da die VIELEN die Mehrheit bilden, bleiben dem Denkenden keine Dummheiten und deren Konsequenzen erspart. Und? Nix passiert, nix ändert sich, nix wird gut, alles wird noch schlimmer. Warum? Weil
Aufgenommen: Jul 29, 02:25