3 neue short stories von Rüdiger Saß
Kauernde Gefühle
Aha
Kafka sagt
Kauernde Gefühle
Monsieur Schnauzbauch ist ein durstiger Gast. Das Hotel „Zum Schwanen“ aber hatte bessere Zeiten gesehen. Heute gibt es nicht mal Kaffee und wenig Wasser aus der Leitung. Da hilft es auch nicht, wenn der Gast im Voraus bezahlt. Aber das ist nur ein Hirnspiel. Monsieur Schnauzbauch hat kein Geld. Er kann sich nicht mal eine Flasche Wasser kaufen. Notgedrungen isst er auch weniger. Ihm fällt nicht auf, wie er abmagert und kränkelt. Da sämtliche Schwanenspiegel eines Tages gepfändet worden sind, kann sich Monsieur Schnauzbauch nicht vor seinem eigenen Anblick erschrecken, keine Chance, sich zu erkennen.Eines Tages geschieht das Wunder: Ein neuer Gast trifft ein. Monsieur Schnauzbauch kennt ihn von früher. Aus Freunden wurden Gäste. Das sind ihre neuen Namen. Sie haben nichts zu verbergen. Keine Eigenschaft ziert sie. Sie laufen mit der Erdumdrehung. Sonst laufen sie nicht. Obwohl das Hotel eine enge Etagenwohnung ist, begegnen sie sich weder im Flur noch auf der Toilette oder in der Küche, wo es keine Nahrung gibt. Selbst die Wasserquelle ist nun ganz versiegt.
Zuerst hat es noch dünnen Kaffee gegeben. Rückblickend. Doch ein Gast blickt nicht zurück und nicht nach vorn. Er sieht den Augenblick und sonst nichts. Und der wird vom Tod begleitet, von einem Reisenden, der sich vor dem Bett des Entkräfteten aufstellt und seinen Werkzeugkoffer öffnet.
Dann kommt ein neuer Gast. Zuerst klopft er schüchtern an die Tür, danach steht er ebenso im Raum. Dann legt er sich neben den Leichnam und schiebt ihn zur Seite, um mehr Platz für sich zu haben.
Aha
I. Der Aha
Der Wirt tritt an den Tisch des Herrn Aha, dem Mann mit der gebrauchten Garderobe. „Sehen Sie, Doktor, hier zwickt es mich.“ Er zeigt auf eine Stelle seines Oberschenkels. „Aha“, stellt der Aha in seiner Eigenschaft als Hakenhalter fest. Einen Augenblick sieht er das geöffnete Bein vor sich. „Was kann da nicht in Ordnung sein?“, fragt es aus ihm heraus, und zum Wirt sagt er: „Bis morgen weiß ich, was es ist.“ Dann entlässt ihn das Lokal. Er muss zur Arbeit. Sein Weg führt ihn ins Krankenhaus, in die chirurgische Sektion.
Nach dem Händewaschen legt ihm die Schwester einen Kittel an. Die Arme reckt er wie zur Anrufung eines Gottes in den Schneideraumhimmel. Er spürt der Schwester Brüste im Rücken, während sie ihm die Mundschutzzipfel verknotet und verschleift. Der Aha ist ein aufgeweckter, weltoffener Mann. „Kommst du heute Abend?“, fragt es aus den Brüsten heraus, die auf den Namen Monika hören. „Heute Abend, ja“, wiederholt Aha. Dann tritt er an den Tisch, wo ein Oberschenkel auf Schnitt und Eingriff des Chirurgen wartet. „Da sind Sie ja! Einmal noch zu spät und Sie sind entlassen.“ Mit mürrischer Miene zischt ein Skalpell durch den Operationssaalhimmel, um jäh herabzustürzen und jene Haut aufzutrennen, die das Bein zusammenhält. Der Aha zieht mit Haken die Hautenden auseinander, damit der Chirurg seine Instrumente ins Fleisch stecken kann. Mit den flinken Fingern eines Pianisten schlägt er Muskel- und Nervenstränge an. Ahas Worte klatschen auf das Laken, das das Opfer verhüllt. „Chef“, fragt es aus ihm heraus, „Chef! Was ist’s, wenn’s dort zwickt?“ Sein Nicken weist auf eine weiße Leitung im roten Fleisch.
„Das ist der Knochen. Tut’s dort weh, kommt’s von der Hüfte. Dann müssen überall Nägel und Schrauben hinein. Und jetzt Schnauze halten!“ Ärzte, Assistenten und Schwestern lachen und dem Aha scheint es, dass auch der unterm Laken lacht. Dabei lacht auch er und blickt auf die Brüste Schwester Monikas. Er ist ein weltoffener, aufgeschlossener Mensch wie das Bein, das er unter sich an Haken auseinanderhält.
II. Der Wirt
Nachdem ein Lötkolben sowie Nadel und Faden die Wunde geschlossen haben, nachdem der Narkosearzt den Chirurgen auf einen Whisky eingeladen hat, wäscht Herr Aha seine Hände.
‘Was meinem Wirt sagen: die Wahrheit meines Chefs, seine Wahrheit oder meine?’ Der Aha stützt sich am Waschbecken ab, später an Schwester Monika. Der Schwindel will und will sich ihm nicht legen, will sich nicht niederlegen. Ihm graut vor dem nächsten Morgen, lang bevor der nächste Morgen graut.
Ergraut, so scheinen seine Schläfen aus dem Spiegel, tritt er aus dem Lokalklo und sinkt, Weltoffenheit und Aufgeschlossenheit fade spiegelnd, auf seinen Stammstuhl nieder. Wessen Wahrheit? Schon steuert der Wirt mit einem Glas Bier auf ihn zu. Freundschaft und Erwartung spielen auf je eigene Weise in den Gesichtern. Der eine verlangt Alkohol, der andere Aufklärung über die Ursache seiner Schmerzen.
„Sie, Wirt, Sie! Sie müssen jetzt ganz stark sein“, schwitzt Aha das Bier aus sich heraus.
„Auch Sie, Gast, Sie, Aha. Wer von uns beiden will beginnen, von unserer Freundschaft zu probieren, ob sie etwas oder mehr aushält? - Ich bin pleite“, lacht der Wirt, ohne eine Antwort abzuwarten. „Ich habe zu viele arme Gäste, Gäste wie Sie. Heut bewirt’ ich euch noch alle, stell euch Essen vor die Nasen, bring’ euch frisches Bier. Dann ist Schluss heut Nacht, und morgen spring ich in den Fluss.“
III. Schwester Monika
„Ich schaffe es nicht allein. Seien Sie mein Freund, Aha, geben Sie mir den letzten Stoß!“ Nachdem das nasse Grab sich um den Wirt geschlossen hat, weiß der Aha nicht wohin. Einen Rettungsanker hat er noch: die warme Haut und Seele Schwester Monikas. Mit dem Gefühl, etwas sei aus ihm herausgeschnitten, steuert er auf die Wohnung seiner Geliebten zu. Das Loch in ihm wächst und wächst, als die Tür auf sein Klingeln nicht geöffnet wird. Niemand da, der Herrn Aha Aha aufschließt, niemand, dem er sich öffnen kann.
Im Flur seiner über Nacht ergrauten Wohnung liegt ein Brief von Schwester Monika. Darin heißt es: „Plötzlich stand der Tod vor mir. Er meinte, dass ich einmal sterben müsse. Das leuchtete mir ein. Deshalb habe ich beschlossen, dem Kommenden schon jetzt entgegen zu gehen.“
IV. Die Ärzte
Der Aha wäscht sich die Hände. Dann spürt er Brüste im Rücken, die ihm nicht nur in den Kittel helfen, sondern auch den Mundschutz verknoten und verschleifen. Die Brüste, die auf den Namen Elke hören, fragen: „Kommst du heut?“
„Nein“, hört er sich sagen und tritt an die Schlachtbank. Dort steht ein anderer. Der hält aufgeschlossen und weltoffen ein Bein an Haken auseinander. Und er lacht hinüber zu den Brüsten und sagt „Ja!“
Der Schnitter hält beim Schneiden inne. Er hebt den Kopf, nickt den Aha zur Tür hinaus und lacht zum Narkosearzt: „So, Sie haben sich eine größere Yacht gekauft?“
Kafka sagt
Die dicken Jungs an der Tür des Spielzeugparadieses verlangen Eintrittsgeld, das ich nicht habe. Ich habe gute Laune, Lust und Hoffnung im Gepäck, sonst habe ich nichts. Ein Wurstgesicht streckt sich mir entgegen. ‘Ein Mensch, kein Spielzeug’, denke ich. Die Wurst sagt: „Du willst ins Paradies, kannst aber den Tribut nicht zahlen nenn nenn nenn ...“ Ihr Kopf hängt jetzt noch tiefer als zuvor. Sie denkt sich dorthin zurück, woher sie gekommen ist, aus einer Halle im Leuchtstoffröhrenlicht. ‘Kafka’, denke ich und sage „Kafka“. Der Kauz dreht sich zu mir. „Weil ich wie eine Wurst aussehe?“
„Nein“, antwortet mein Herz, „weil du so unschlüssig bist.“
„Dann komm rein, wenn du noch willst. Es ist besser, es ist bequemer, hiervon zu träumen, als in der Wirklichkeit aufzuschlagen.“ Ich schlüpfe an den Wachen vorbei in den Saal hinein an Kafkas Seite. „Tröste mich! Ich bin traurig“, sagt der Wurstkopf. „Nein. Ich will mit Dingen, nicht mit Menschen spielen. Deswegen bin ich hier. Sonst könnte ich ins Café, ins Schwimmbad oder auf die Liegewiese gehen. Nein. Ich mag Menschen nicht anfassen, auch geistig nicht. Lass uns gemeinsam einsam sein!“
„Gut“, meint Kafka. „Spielen wir Golf! - Halt! Wohin so schnell? Wir haben alle Zeit der Welt. Keine Angst! Du bist schon tot, sonst wärst du nicht hereingelassen worden. Du bist eine zerfetzte Puppe, ein vergessener Plastikbagger im Sandkasten, ein kaputter Clown. Keiner liebt dich. Deshalb bist du hier. Niemand liebt dich, und deshalb bist du tot“, sagt Kafka ...
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