AUF DIE OHREN : LUIS DI MATTEO

Freitag, 26. April 2024 um 07:13 - futziwolf
Konzertbesprechung und Hommage für Luis Di Matteo : Bandoneonvirtuose aus Montevideo/Uruguay


LUIS DI MATTEO's UN DIA DE MI VIDA von 1998 als Cd zur Besprechung bei mir zu Hause und Señor di Matteo am 23.11.2007 auf der Bühne des Grend in Essen. http://www.grend.de/

Dazwischen lagen Tage des Zauderns (der nervösen Untätigkeit angesichts der Unabwägbarkeit des Kommenden ). Zum einen weil gleich zwei Konzerte am selben Abend zur Auswahl standen (L. di Matteo im Grend und Ollie Q. and the Deep Six im Djäzz) und zum anderen, weil ich zwar ein Faible für Bandoneonmusik habe, die Musik des Luis di Matteo Albums UN DIA DE MI VIDA aber rein gar nichts mit der Eingängigkeit der bekannten Astor Piazzolla Platten zu tun hat. Die Musikkonserven der heute Abend zur Auswahl anstehenden Künstler ließen bei weitem nicht das Potential erahnen , was man Live von ihnen zu erwarten hatte. Von Ollie Q. and the Deep Six wusste ich von drei Konzerten, wie schweißtreibend perfekt und spielfreudig sie ihr Publikum zu begeistern wissen. Von LUIS DI MATTEO hatte ich einige Live-Aufnahmen im Internet gehört, die von ebensolcher begeisternden Spielfreude zeugten. Das Album jedoch erschloss sich mir nicht gleich, was zu erst mal daran lag, das es ein reines Instrumentalalbum ist und zudem mit recht ausufernden Stücken von bis zu neun Minuten Länge aufwartet. Wenn man sechs Stunden lang Pop, Ska und Punk gehört hat, kann man solch eine Musik nicht mal eben so noch dranhängen.

Nach einer einigermaßen schlaflosen Nacht und mehren Stunden Musikpause stand ich also so gegen fünf oder sechs Uhr morgens in der Gewissheit auf, nicht mehr schlafen zu können. Die ersten Anzeichen einer Morgendämmerung zogen heran, ich öffnete die Balkontür und legte UN DIA DE MI VIDA (Ein Tag in meinem Leben) auf. Was LUIS DI MATTEO da spielte, vermischte sich wie selbstverständlich und einvernehmlich mit den Geräuschen des aufwachen Stadtteils. Und dann waren die Lieder di Matteo's plötzlich auch, im positiven Sinne, eingängig. Wenn man einem fesselnden Geschichtenerzähler zuhört, dann ist es egal ob die Geschichten traurig oder lustig oder tragikomisch sind. Wichtig sind beim Hören seiner Musik nur, die Bereitschaft, Lieder von einem Menschen zu Hören, der das Leben in all seinen Facetten beschreibt, der das Leben selbst feiert, Lieder zu hören, die einen ganzen Tag im Leben eines Menschen erzählen. Diese 70-jährige Lebenserfahrung und Weisheit, mit der Perfektion seines Bandoneonspiels gepaart, lässt sich mit dieser CD erhören.

Die Entscheidung, in welches Konzert wir gehen, war gefallen. Im Grend dann, in wallendes Vorhangblau gehüllt und von einem Publikum umgeben, gerade mal 30 Leuten, in der Mehrzahl dem Bildungsbürgertum über die 50 zuzurechnen, war die Stimmung schon fast eher wieder blau. Dabei blieb es nicht mehr lange, denn als LUIS DI MATTEO die Bühne in seinen beeindruckenden Gauchostiefeln betrat, sich auf den Stuhl setzte, das rote-Tücher-als-Polster-zwischen-Beine-und-Bandoneon-legen-Ritual beendete, ein riesiges, breites Grinsen an das Publikum als Begrüßung richtete und ohne lange Vorreden gleich mit seinem Spiel begann, und in dem er das Blau so genial zu variieren wusste, das ganze Farben-Gefühlsspektrum ständig wechselte, musste dem Publikum schon nach fünf Minuten schwindelig sein.
Wieder mal stellte sich die Frage, wie man ein bestuhltes Konzert sprengen und den unzweifelhaft kollektiv vorhandenen Wunsch sich zu bewegen (zu tanzen?) artikulieren könnte. Noch drängender war allerdings die Frage, wieso sich so wenig junge Leute in dieses Konzert wagten. Ich wusste jetzt jedenfalls wieder was mir dieser Mann mit seinem Bandoneon außer seiner Fingerfertigkeit und Erzählkunst geben konnte. Und das war der gar nicht zu hoch einzuschätzende Genuss der Befreiung von den gängigen Liedstrukturen wie Strophe-Refrain-Strophe. Welch ein Balsam für die Pop-Einheits-Struktur gequälte Seele. Wann hier ein Stück zu Ende war, erfuhr man nur dadurch, das der Mann auf der Bühne seine sonst vor inbrünstigem Spiel geschlossen Augen öffnete. Dann erlaubte er dem Publikum einen kurzen Applaus, der ihm scheinbar als lästige Unterbrechung seiner Spiel-Erzählwut vorkam, um dann die nächste epische Geschichte zu beginnen. Ganz großes Kino.

Bleibt noch zu erwähnen, das die Aponauten-Redaktion, in Person von Großmutter Futziwolf und seinem lieblichen Weibe Iris, nach dem Konzert noch ein Mini-Interview mit LUIS DI MATTEO machen durfte. Welches in Ermangelung spanischer Sprachkenntnisse unsererseits und dem zwar vorhandenem, aber geringem deutschen Sprachschatzes Señor di Matteo's wirklich sehr Mini war und deswegen per E-mail-Interview demnächst nachgereicht wird. Was Herr di Matteo, der auf der Bühne angemessen südamerikanisch-cool wirkte, uns allerdings in der fünf Minuten Audienz an unglaublicher Herzlichkeit entgegenbrachte, soll hier nicht unerwähnt bleiben.Unbedingt die nächsten Konzerttermine wahrnehmen und alle Platten kaufen!!!

Termine:

25.11.2007 - D - Brilon - Jugendkirche Gudenhagen, 17.00 Uhr
26.11.2007 - D - Kempen - Kulturforum Franziskanerkloster
27.11.2007 - D - Soest - Alter Schlachthof
29.11.2007 - D - Gütersloh - Apostelkirche 18.30 Uhr
30.11.2007 - D - Bergkamen - Begegnungszentrum am Stadtmarkt
02.03.2008 - A - WIEN - Akkordeon Festival
07.03.2008 - D - Lörrach - Jazzclub
08.03.2008 - D - Langenau - Pfleghofsaal ( tbc)
09.03.2008 - D - Heidenheim - Jazzclub

Mukke:
http://www.klangkosmos-nrw.de/soundclips/luis_di_matteo.mp3




discographie:
Siempre Hay Algo Nuevo / Tango Y Mas Aalla - ZBR - 2004
Candombe Uruguayo - ZBR - 2001
Un Dia De Mi Vida - ZBR - 1998
Escribo Para Los Angeles - ZBR - 1997
Del Nuevo Ciclo - ZBR - 1991
Por Dentro De Mi - ZBR - 1988
Tango - ZBR - 1987

artist homepage: http://www.myspace.com/luisdimatteo
Label:
http://www.jaro.de/php/

http://www.klangkosmos-nrw.de/


bio:
Luis Di Matteo wurde als Sohn italienischer Einwanderer in Montevideo geboren, wo das Alltagsleben vom Tango durchdrungen war. Sein Vater gab seinem Sohn ab dem 10 Lebensjahr Bandoneonunterricht.
Seine musikalische Profilaufbahn begann im Jahr 1955 mit zwei Begegnungen: Der uruguayische Tangopianist Zagnoli engagierte ihn für sein Orchester, gab ihm Einblick in die Feinheiten des typischen "Tango Rioplatense" und die Erfahrung durchgespielter Nächte, bei denen er seine eigene Technik und sein eigenes Verständnis des Bandoneons entwickelte. Das andere war seine erste Begegnung mit Astor Piazzolla, der von seinem Studienaufenthalt in Paris via Montevideo nach Buenos Aires zurückkehrte und dort von seinen Tangofreunden im Hafen begrüsst. Damals hörte Di Matteo zum ersten Mal Piazzollas Ideen, die kurze Zeit später den Tango revolutionieren sollten. 1971 spielt er seine erste LP ein. Zwischen 1975 : 1981 experimentiert er mit verschiedenen Besetzungen für Tango-Orchester und eigenen Kompositionen. Er integriert zum ersten Mal Elemente der Milonga, der ländlichen Gaucho-Musik in seine Kompositionen. Aber auch die uruguayische Volksmusik Candombe, dieser afro-uruguaysche Rhythmus, der Ende des 19. Jahrhundert Pate bei der Geburt des Tangos am Rio de la Plata stand, hinterlässt Spuren in seiner Musik. Er begründet damit die uruguayische Version des Tango Nuevo und löst sich aus dem Schatten Piazzollas.
1986 begann er Solo-Konzerte zu geben und gilt heute als einer der wenigen Bandoneonistas von so aussergewöhnlicher Meisterschaft, der dieses oft als sperrig titulierte Instrument erklingen lässt "wie ein ganzes Orchester". Übrigens: Nicht Buenos Aires in Argentinien oder Montevideo in Uruguay ist die Heimat des Bandoneons. Krefeld, die Stadt am linken Niederrhein ist seine Geburtsstätte ! Hier hat 1845 Heinrich Band das nach ihm benannte Instrument erfunden. Heute noch werden alle Tango-Bandoneons in der sogenannten "Rheinischen Tonlage" gespielt.
Ausführliche Biographie und Player mit vier Stücken:
http://www.jaro.de/php/index.php3/page/content:artist/artist_id/e3aac9daf0a9a0c38d136b5725fc18c7

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    Exclusiv im aponauten: AUF DIE OHREN: LUIS DI MATTEO - mit Konzertbesprechung, Mukke, Fotos und Links!!!

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