Lebenslange Haft in Bayern - ohne Straftat, ohne Anklage
REISEWARNUNG: Fahren Sie nicht nach Bayern
Gefährder-Gesetz verschärft
Bayern führt die Unendlichkeitshaft ein
In einem anderen Land II
Ein Bericht von Monsignore Genickschuss
Yussuf war ein Gefährder. Er kannte nicht bloß jemanden, der jemanden kannte, der jemanden kannte, nein, er hatte sich auch vier Mal innerhalb einer Woche in der Nähe der Staatskanzlei blicken lassen. Der Verdacht, er kundschafte ein künftiges Anschlagsziel aus, hatte sich da geradezu mit Gewalt aufgedrängt. Tatsächlich hatte Yussuf lediglich auf Melanie gewartet, eine frischgebackene Mitarbeitern dieser Behörde, die er noch aus Unitagen kannte und so heimlich wie heiß liebte oder begehrte, wer weiß das schon zu unterscheiden, aber der Kommissar hatte über diese Erklärung nur gelacht und gesagt: „Verliebte, Stalker, Terroristen, die Grenzen sind fließende, nicht wahr.“
Nach viereinhalb Jahren Haft ohne ordentliches Verfahren, ohne Beweise und ohne Schuld hatte Yussuf das Beten aufgegeben und war zum Christentum konvertiert. Er huldigte jetzt täglich dem Grundgesetz. Eine Ausgabe dieses bedeutenden Textes lag jede Nacht unter seinem Kopfkissen. Auch äußerlich hatte Yussuf sich um Resozialisation bemüht, der Bart war ab und ein Antrag auf Übernahme der Kosten für kosmetische Eingriffe zur Gesichtshautbleichung bereits eingereicht. Der Richter, der alle drei Monate dem Antrag auf Haftverlängerung stattgab, feixte schon: „Der sieht ja jetzt beinahe aus wie ein Mensch. Lange können wir den nicht mehr festhalten.“
Thorsten ging es da schlechter. Ebenfalls ein Gefährder, weil er an mehreren ungenehmigten antifaschistischen und antikapitalistischen Demonstrationen teilgenommen und die Glastür einer Zeitarbeitsfirma beschädigt hatte, saß er seit 5 Jahren ein. Allerdings war im Stammbuch seiner Familie seine römisch-katholische Taufe bereits vermerkt, Bartwuchs hatte er kaum und weiß war er zur Welt gekommen. In seiner Verzweiflung hatte er sich die Memoiren Otto von Bismarcks, die Werke von Ayn Rand, eine Thatcher-Biographie und die Goebbels-Tagebücher aus der Gefängnisbibliothek besorgt und begonnen, die Texte auswendig zu lernen. Wenn er sie in seiner Zelle laut vor sich sprach, hoffte er, seine Wärter mögen ihn hören und ihm seine Wandlung zum vorbildlichen Bürger abkaufen. Die aber verstanden nichts von Politik. Der Haftrichter sagte nur: „So, so, er liest also immer noch. Warum macht er nicht mal was Vernünftiges? Sehr bedauerlich…“